Lambert de Beaulieu (16. Jahrhundert)

Ballett Comique de la Reine

Allgemeine Angaben zum Ballett:

Titel: Ballett Comique de la Reine
Anlass: auf Anregung von Katharina de' Medici (Mutter Heinrichs III.) bestellte Königin Louise (Gemahlin Heinrichs III.) das Werk zur Hochzeit ihrer Schwester Maguerite de Lorraine mit dem Duc de Joyeuse
Entstehungszeit: 1581
Uraufführung: 15. Oktober 1581 in Paris (Salle du Petit Bourbon)
Choreographie und Arrangeur: Baltazarini di Belgioioso (Balthazar de Beaujoyeulx)
Bühnenbild und Kostüme: Jacques Patin

Besetzung der Uraufführung:
Le gentilhomme: M. de la Roche, Circé: Mlle. de Saint-Mesme, Glaukos: M. de Beaulieu, Thetis: Mlle. de Beaulieu, Pan: M. de Jutigny, Merkur: M. de Pont, Jupiter: (keine Angabe), Opi: (keine Angabe), Najade 1: die Königin von Frankreich, Najade 2: die Prinzessin von Lothringen, Nymphe 1: Mlle. de Vitry, Nymphe 2: Mlle. de Surgères, Nymphe 3: Mlle. de Laverney, Nymphe 4: Mlle. d'Estavay, Heinrich III: in Person anwesend, Circés Tiere: Mitglieder der Hofgesellschaft
Besetzung: Soli, Chor und Orchester
Bemerkung: „Le Ballet Comique de la Reine“ war nur ein bescheidener Bestandteil der Hochzeitsfeierlichkeiten des erlauchten Paares. Pyrotechnischer Klamauk und technische Spielereien erfreuten sich großer Wertschätzung. Poetische Deklamation, Gesang und rein Instrumentales fügten sich nahtlos zu einem hochwertigen Konzept. Die Balletteinlagen waren mit der Handlung eng verwoben und kein dekoratives Divertissement. Im „grand ballet“ fühlten sich die handverlesenen Zuschauer aus ihrer Passivität erlöst und konnten sich einklinken. Der tiefere Sinn des Szenarios liegt darin, dass stupide Instinkte, dargestellt durch Circés Tiere aus ihrer Gefangenschaft erlöst und durch ein Machtwort des Königs der einstigen höheren Geistigkeit wieder zugeführt werden sollten. Allein schafft der Monarch aus dem Hause Valois es nicht, diverse Götter und allerhand zwielichtiges Volk von einer anderen physikalischen Ebene huldigen ihm und unterstützen ihn hilfreich in seinen Absichten. Was zu tun erforderlich ist, signalisieren ihm die Untertanen, zu der auch die Phantomwelt gehört.

Die Musikwissenschaft ist sich einig, dass das „Ballet de Circé“ (seine namentliche Kurzform) formell als das erste Ballett der Musikgeschichte anzusehen ist. Es dauerte von 22 Uhr abends bis 3 Uhr des folgenden Morgens. Das Vergnügen war einmalig – es wurde nie wiederholt.

Zum Ballett:

Art: Choreographisches, dramatisches, musikalisches und technisch-szenisches Schauspiel in einem Prolog, zwei Teilen und einem abschließenden „grand ballet“
Libretto: Verse von Sieur de la Chesnaye
Sprache: französisch
Ort: Paris
Zeit: zur Zeit Heinrichs III.

Handlung:

Die Gepflogenheiten der Zauberin Circé, Männer in Schweine zu verwandeln, ist dem Publikum aus den Gesängen des antiken Dichters Homer bekannt. Da Madame zu den Unsterblichen gehört, ist sie nicht auf ihrer einsamen Insel geblieben, sondern hat in der glanzvollen französischen Metropole des sechzehnten Jahrhunderts Quartier bezogen und sich auf königlichem Grundstück einen Palast errichtet. Dieser besitzt einen zoologischen Garten mit Wirbeltieren aller Art. Einheimische, exotische und Fabeltiere leben bunt gemischt in rauer Dissonanz nebeneinander und produzieren eine Geräuschkulisse, die sich auf die sensiblen Ohren der Hofgesellschaft störend auswirkt. Um es gleich vorweg zu sagen, Circé ist nicht beliebt und hat zur aristokratischen Gesellschaft keinen Zutritt. Auch der König besitzt botanische Gärten und Orangerien, hat Fischteiche und Wiesen, auf denen seltene Vögel stolzieren, aber er kauft seine Ware ordnungsgemäß beim Tierhändler oder bekommt sie als Geschenk. Durch Züchten und Kreuzen vermehren die Tierwärter die Bestände und nicht durch faulen Zauber so wie Circé ihn zu ihrer Belustigung bewerkstelligt. Selbst, wenn man der Magierin wissenschaftliche Ambitionen unterstellt, fällt ihre Methode in den Bereich der Beschaffungskriminalität. Es ist eine bodenlose Geschmacklosigkeit, Menschen gegen ihren Willen in andere Lebewesen zu verwandeln, nur weil die Täterin den Tag sich nicht anders einteilen kann.

DER PROLOG

des grandiosen Spektakels beginnt nun damit, dass ein Opfer aus Circés Machtbereich ausgebrochen ist und vor dem König eine flammende Anklage gegen seine Feindin hält. Sein Plädoyer erforderte es, sehr viel Text auswendig zu lernen – eine Fleißarbeit, die seine Tanzkünste bei weitem übertrifft. Seine königliche Majestät möge doch bitte rechtsfreie Räume in seinem Machtbereich nicht dulden und den merkwürdigen Experimenten einer fragwürdigen Person Einhalt gebieten. Ihre Anwesenheit in französischen Landen sei ein Ärgernis für alle und eine Beleidigung für Königin Louise.

DER ERSTE TEIL

des grandiosen Spektakels, welches fünf Stunden dauern wird, bietet drei Sirenen und einem Tritonen Gelegenheit, sich akustisch bemerkbar zu machen und sich tänzerisch ein bisschen die Beine zu vertreten. Es kommen Najaden angereist, die sich der Gruppe harmonisch zugesellen. Die Letztgenannten sitzen auf einem farbig beleuchteten Brunnenrand, der von Seepferdchen gezogen wird und wippen mit ihren Flossen. Auf Prominenz aus dem Wasser soll nicht verzichtet werden. Der Meeresgott Glaukos hat die liebe Thetis mitgebracht, um mit ihr ein Duett anzustimmen, welches die Qualität und Vielschichtigkeit des Wassers beschreibt. Der Zwiegesang wird von einem Chor begleitet, der sich an den Seiten unter dem Deckengewölbe versteckt hält. Allgemein halten die Neuankömmlinge es schließlich angebracht, den König und den Hof feierlich zu begrüßen, damit der Etikette Genüge geschieht.

Nun ist es für das Verständnis des Ballett-Enthusiasten von heute unumgänglich, zu erklären, wie er sich die Platzaufteilung in dem rechteckigen Saal vorzustellen hat. Die Radierung eines alten Meisters hat die Situation festgehalten. Am Kopfende hat Circé ihren Palast entstehen lassen, den sie durch einen gewölbten Laubengang zu betreten pflegt. In der Mitte der linken Schmalseite hat Pan eine lauschige Grotte eingerichtet. Sobald sein Handlungsbedarf es ihm eingibt, spielt er hier die Panflöte. Ganz im Vordergrund, dem Betrachter des graphischen Kunstwerkes den Rücken zugewandt, hat der französische Hof Aufstellung genommen und übt sich in Standfestigkeit und Ausdauer. Unentwegt starren alle auf Circés Palast, damit ihnen nicht entgeht, was die Verrufene treibt. Zwei Hellebardenträger sind für die Sicherheit verantwortlich, könnten aber gegen Circés Macht im Ernstfall wenig ausrichten. Auf der Längsseite, der Pan-Grotte gegenüber, befindet sich der Sammelpunkt für Najaden, Dryaden, Satyrn und Nymphen jeglicher Kategorie. Das Parkett dient den Vokalisten zu Monolog und Dialog. Sie geben den Platz frei, wenn höfische Gesellschaftstänze durch Eigeninitiative auszuführen sind. Die Chöre ertönen von ganz oben.

Circé wird das Wehklagen ihrer Tiere zu laut, hebt den Zauberstab und schafft Ruhe, indem sie alle Lebewesen in eine künstliche Erstarrung versetzt. Der Hof steht starr vor Staunen, weil er sieht, was er nicht für möglich gehalten hätte und nun die Ausmaße der Zaubermacht Circés widerwillig zur Kenntnis nehmen muss. Im Olymp ist man auf die Aktivitäten Circés abermals aufmerksam geworden und missbilligt diese ebenfalls. Die Unsterblichen schicken den Götterboten Merkur los, der Circés Macht bekämpfen soll. Doch was geschieht? Ohne ein vernünftiges Konzept zu haben, lässt er sich von der Zauberin becircen und sinkt willenlos zu ihren Füßen nieder. Immerhin hat er ein Fläschchen mit einer Tinktur dabei. Auf die Augenlider geträufelt, löst die Flüssigkeit vorübergehend den Zauberbann. Nun reißt der Handlungsfaden zunächst erst einmal ab. Ohnehin nähert man sich dem Finale des ersten Teils und die bunte Gesellschaft von Tritonen, Dryaden und Najaden stimmt ein Loblied zur Glorie des Königs an. Acht flötende Satyrn vereinigen sich mit ihnen, um dem Laudatio die nötige Würze zu geben.

DER ZWEITE TEIL

Die unscheinbare Nymphe Opi regt sich auf und kritisiert, dass Circé sich des heiligen Hains bemächtigt habe und auch dort ihren Unfug treibe. Pan soll bitte sorgen, dass der Zauberbann endgültig gebrochen wird und die verwandelten Menschen wieder nach Hause zu ihren Familien können. Orpheus hat mit seiner Leier den Cerberus besänftigt, vielleicht könne Pan mit seiner Panflöte Circé zur Vernunft bringen. Allein wird es der Ziegenfuß nicht schaffen. Die Zauberin ist viel zu verbohrt, um Argumenten zugänglich zu sein. Doch in diesem Augenblick kommt ein allegorischer Wagen angerumpelt. Die vier Tugenden haben dort Platz genommen und in der Mitte sitzt die Göttin Minerva. Sie tritt vor den König und erhebt gegen die bösartige Circé heftige Klage. Der Monarch möge sich doch bitte dem allgemeinen Drängen nicht verschließen. Die Übelbeleumundete ist unverzüglich kaltzustellen, nachdem Merkur so schmählich versagt hat. Ein sechsstimmiger Chor gibt ihrem Gesuch Nachdruck. Doch der König lächelt hintergründig, wirkt aber nicht tatendurstig. Er erweckt fast den Eindruck, dass er die Zauberin deshalb gewähren lässt, damit die Tugend von Königin Louise sich strahlend abheben kann. Lässt Minerva sich zurückweisen? Nein, sie ist die Göttin, welche das ehrbare Handwerk beschützt, aber was Circé da treibt ist doch wahrhaft großer Frevel. Zum höchsten der Götter fleht sie, dass er endlich einschreiten möge. Sie hat Erfolg: auf einer Wolke schwebt Jupiter selbst hernieder und hat in seinem Gepäck ein paar scharf geladene Blitze dabei. Pan und sechs Satyrn schließen sich ihm an und gemeinsam zieht man zu Circés Palast. Die Bedrohte denkt nicht daran, aufzugeben und hetzt ihre Tiere gegen die Angreifer auf. Doch diese verstehen überhaupt nicht, was die Gebieterin von ihnen will. Jupiter schärft einen Blitz mit zehntausend Volt, der Circé niederstreckt. Für den Fall, dass die Energiemenge nicht ausreicht und Circé vom Stromschlag nur betäubt ist, werden der Verruchten Ketten angelegt. Najaden, Dryaden, Faune und Nymphen loben die mutige Tat. Sie schleppen die halb Bewusstlose in Ketten vor den französischen König. Dieser ist glücklich, dass er nun vor den Herrschern Europas prahlen kann, die Zauberin zur Strecke gebracht zu haben. Es stört ihn nicht, dass zuvor Jupiter – genau so eitel wie der König – die Begegnung mit der Zauberin vor geladenem Publikum in allen Einzelheiten erläutert hat. Tanzende Dryaden beschließen nun den zweiten Teil des Balletts und leiten über zum

GRANDE BALLET,

bei dem alle mitmachen dürfen. Die Königin von Frankreich wird nun beweisen, dass sie auch Ahnung von Choreografie hat. Unter ihrer Leitung – sich macht vor, die anderen machen es nach – erschöpfen die Passagen sich in geometrischen Figuren, Kreisen, Quadraten, Wechselschritten, Verbeugungen und mannigfaltigen Bewegungen. Solche Schrittfolgen liegen den Edelleuten und ihren Damen im Blut. Die Improvisation der alten Tänze bedürfen keiner besonderen Einstudierung. Am Schluss der Vorstellung fühlt man sich verpflichtet, ausgiebig zu huldigen, und die Königin überreicht dem Monarchen eine Gabe. Auch alle übrigen Herren bekommen von ihrer Herzensdame ein kleines Geschenk, welches sie zur Erinnerungen an eine gelungenen Abend nach Hause tragen dürfen.

Letzte Änderung am 2. Mai 2008
Beitrag von Engelbert Hellen

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