Rolf Liebermann (1910-1999)

Penelope

Allgemeine Angaben zur Oper:

Titel: Penelope
Entstehungszeit: 1954
Uraufführung: 17. August 1954 in Salzburg (Salzburger Festspiele)
Besetzung: Soli, Chor und Orchester
Erstdruck: Wien: Universal Edition, 1954
Bemerkung: Der Grundgedanke zum Opernlibretto stammt aus der Tageszeitung. Eine Frau aus Berlin, deren Mann viele Jahre in Sibirien verschollen war und von den Behörden schließlich für tot erklärt wurde, heiratete wieder. Ihre Ehe ist glücklich. Dann erhält sie eines Tages ein Telegramm vom Roten Kreuz in Genf: Ihr erster Mann komme heute Abend am Berliner Bahnhof an. Die Frau findet sich am Bahnhof in der Wartehalle ein. Eine Rot-Kreuz-Schwester ruft ihren Namen auf und teilt ihr mit, dass ihr Mann auf dem Transport gestorben sei. Die Frau reagiert zuerst mit einem Zusammenbruch, denn sie fühlt sich mitschuldig am Tod ihres Mannes. Dann kommt aber doch Erleichterung über sie. Sie eilt nach Hause zu ihrem zweiten Mann und findet ihn erhängt am Fensterkreuz. Er hat sich das Leben genommen, um der geliebten Frau die Lösung eines unlösbaren Problems zu ermöglichen. Der Komponist gab in Zusammenarbeit mit dem Librettisten dem Stoff eine dichterische Form und schuf ein packendes Musikdrama im Stile des Verismo. Der Erfolg anlässlich der Uraufführung bei den Salzburger Festspielen mit Christel Goltz in der Titelpartie war überwältigend.

Zur Oper:

Art: Opera semiseria in zwei Teilen
Libretto: Heinrich Strobel
Sprache: deutsch
Ort: Griechenland
Zeit: parallel zueinander in der Zeit nach dem trojanischen Krieg und in der jüngsten Vergangenheit

Personen:

Penelope: (Sopran)
Telemachos: (Sopran)
Demoptolemos: ein Freier (Tenor)
Eurymachos: ein Freier (Bass)
Leiokritos: ein Freier (Bariton)
Ercole: (Tenor)
Achille: (Bariton)
Ulisse / Odysseus: (Bass)
Weitere: der Podestà von Castel Circeo - Tenor
zwei Boten
Beamte, Heimkehrer, Volk

Vorbemerkung:

Die Handlung ist auf zwei Spielebenen verteilt, eine antike, die den Rahmen der Aktion umreißt, und eine zweite, die den Kern des Geschehens in einem italienischen Salon der Gegenwart zeigt. Im Finale der letzten Szene verschmelzen beide Ebenen miteinander.

1. „Singe mir, Muse, das Lied von Penelopeia“ (Chor, Freier, Telemachos) - I.
2. „Schön bis du Penelope (Ercole, Penelope, Boten“) - II.
3. „Gehen müssen auch wir“ (Telemachos, Freier) - I.
4. „Ich verstehe nicht die Mama“ (Telemachos) - I.
5. „Ein Wunder ist geschehen“ (Chor) - II
6. „Heil euch, eroi gloriosi“ (Podestà, Beamte) - II.
7. „Achille“ (Penelope, Achille) - II.
8. „Des Meeres tiefem Dunkeln“ (Penelope) - II.
9. „Singe mir, Muse, das Lied“ (Relemachos, Freier, Chor) - I.
10. „Soll ein Toter mein Gewissen mehr belasten, als ein Lebender“ (Penelope) II.
11. „Odysseus, Osysseus (Telemachos, Freier) -II.
12. „Ja, ich bin zurückgekehrt“ (Odysseus, Penelope, Chor) I. u. II.

Der Teppich, an dem Pelenope webt, trennt die beiden Spielflächen optisch voneinander. Der zeitliche Abstand zwischen dem Ende des Trojanischen Krieges und dem Beginn der Oper besteht in 3649 Tagen.

Handlung:

1. Akt: 1. Spielfläche:

Die Muse soll das Lied von der edlen Penelope singen, die schon so viele Jahre auf die Heimkehr ihres Gatten Odysseus gewartet hat. Mit seiner überlegenen List hat er dazu beigetragen, das aufsässige Troja zu bezwingen. Keiner glaubt, dass der mutige Dulder Ithakas Ufer noch einmal betreten wird, denn seine Gebeine wurde vermutlich von den Wogen des Meeres verschlungen. Allein Penelope wartet geduldig auf ihren Gatten und webt mit zögernden Fingern am Tage an einem Vorhang, um in der Nacht die geleistete Arbeit wieder zu zerstören. Auf diese Weise hält sich sie kluge Frau den Schwarm der aufdringlicher Freier vom Hals. Ewig kann das Täuschungsmannöver nicht weitergehen. Das Gewirk ist nun fertig und die göttliche Muse soll ihr verraten, wie Penelope sich den Freiern auf neue entwinden kann.

Die Freier sind ungehalten gegen den Chor, der sich ständig einmischt und raten Penelope, das Leben so zu begreifen, wie es ist.

„Nicht mehr wirst Du uns entschlüpfen
und am Vorhang weiterknüpfen.
Fertig ist Dein Werk Penelope,
und jetzt nimm einen von uns zur Eh'!“

Leiokritos rechnet sich die größeren Chancen aus, denn als Waffenlieferant ist er zu Vermögen gekommen.

„Mich musst Du wählen, o schönste der Frauen,
mit Leib und Seel' dich mir anzuvertrauen.
Werde in Purpur und Gold Dich hüllen,
jeden geheimen Wunsch Dir erfüllen.
Unter uns allen biet ich Dir am meisten:
denn nur wer reich ist, kann sich das leisten.“

Telemachos und ihre Hofdamen schalten sich ein: Sie soll nicht auf ihn hören und ihn hinauswerfen. Jetzt meldet sich Eurymachos zu Wort:

„Glaube nicht, was der eitle Prahler da schwätzt.
Sieh mich an, der vor Troja sein Schwert hat gewetzt.
Wo ich auftrat, hab' sich Schrecken gesät.
Die Barbaren wie reifes Gras hingemäht.
Leerer Tand sind Reichtum und Geld.
Was Dir fehlt ist ein trotzender, protzender strotzender Held!“

Telemachos und die Hofdamen sind sich einig:
„Hör nicht auf ihn, sondern wirf ihn hinaus!“

Demoptolemos hat es am Schwersten, seine Wünsche an die Frau zu bringen, dann er hat einen Sprachfehler. Die Blüte der griechischen Frauen soll den Mammon und das Heldengeschnatter gering achten. Bestand hat nur des Dichters Geist, der mit geflügelten Worten die Taten wachhält, die zum Ruhm des Vaterlandes vollbracht wurden. Die Hofdamen raten, auch ihn hinauszuwerfen. Demjenigen, der an der Krippe sitzt, gebührt der Vorzug! Und was ist mit dem, der alles in Schönheit verwandelt? „Fortjagen, rausschmeißen!“

Nun ergreift Penelope endlich das Wort und wendet sich an die edlen Helden. Sie bekennt, dass es auch sie zum duftenden Lager und zum lendenstarken Gemahl drängt. Doch sie will die Werbung, die sie gewiss ehrt, nicht erhören. Sie sollen sich den Vorhang anschauen, den sie gewirkt hat und noch die Bühne abschottet. Sie wird ihn jetzt wegziehen, damit die Herren in die Zukunft schauen können, was der Mantel bisher ihnen gnädig verhüllt hat.

Der Chor schreitet ein, dass Penelope den Unfug lieber lassen soll. Die Pfade des Schicksals hält der Teppich gnädig bedeckt und er ahnt, dass er Furchtbares enthüllen würde.

2. Spielfläche:

Das zweite Schicksal, welches sich abspielt, ist in die heutige Zeit versetzt. Penelope ist mit Ercole verheiratet und bewohnt mit ihm eine hübsche Villa mit Meeresblick. Schön ist Penelope - mit jedem Tag liebt er sie mehr. Sie trägt ein Kostüm nach antikem Vorbild, welches die Schneiderin in ein modernes Abendkleid umgewandelt hat. Ihr Wesen sei der Widerschein der Liebe, in die er sie eingehüllt habe. Er hat ihr ein neues Leben geschenkt! Alle Schrecken und Verzweiflung bannte er aus ihrem Herzen. Alle Qualen und alle Verzweiflung entschwanden in seinem Kuss. Er sei das Vergessen und ist nun ihr Glück.

In ihrem neuen Kleid wird sie die Aufmerksamkeit des Opernpublikums auf sich ziehen und im Foyer der Mittelpunkt des Abends sei. Wie heißt die Oper überhaupt, die heute in San Carlo gegeben wird. „Il Ritorno d'Ulisse“ klärt ihr Mann sie auf. Die Oper stamme von Claudio Monteverdi und ist nahezu in Vergessenheit geraten. Sie liebt die alten Sachen auch nicht übermäßig, ist aber bereit mitzukommen.

Der Postbote klingelt und überreicht der Marchesa einen Brief. Sie stellt fest, dass der Absender Ulisse ihr erster Mann ist und gibt ihn weiter an Ercole, damit er ihn ihr vorliest. Er liest mit steigendem Entsetzen den Text: Seit sieben Jahren, die er mit dreißig Gefährten zusammen gewesen ist, hatte er schon jede Hoffnung verloren, sie jemals wiederzusehen. Eine überraschende Wende des Schicksals führe ihn jetzt heim. Seine Ankunft sei am Freitag, dem 29. August - das ist ja heute!

Das ist nicht möglich - das kann nicht sein. Ulisse ist doch tot gesagt. Er kann nicht wiederkommen. Sie liest es doch von eigener Hand. Aber der Podestà und das Ministerium haben bestätigt, dass er zugrunde ging und verschollen ist. Wir haben dann noch ein Jahr gewartet, bevor wir unseren Entschluss gefasst haben. Es kann einfach nicht sein. Ercole meint, dass sie der Wirklichkeit nun ins Auge sehen müssen. Penelope stellt kategorisch fest, dass die Wirklichkeit er und sein Leben ist.

Penelope schlägt vor, einfach zu verreisen. Das wäre aber nur eine Ausflucht und ein Betrug vor ihnen selbst. Eines Tages wird er vor der Tür stehen und Rechenschaft fordern. Penelope wird ihm einen Brief hinterlassen und ihm alles erklären. Er wird verstehen, dass das Vergangene zu Ende ging und etwas Neues begonnen hat. Er solle ebenfalls versuchen, einen neuen Anfang zu finden. Er wird nicht können, zumindest nicht in diesem Augenblick. Was soll sie denn machen?

Ein Bote stürzt herein und erklärt, dass dreißig ihrer Leute, die verschollen waren, plötzlich heimgekehrt sind. Noch heute Abend werden sie vom Podestà auf der Piazza feierlich empfangen. „Venga, venga!“ Wie ein Blitz aus heiterem Himmel schlägt das Schicksal Penelope nieder und trifft sie mitten ins Herz. Sie soll mit Geduld ertragen, was das Schicksal von ihr fordert und Vertrauen in ihre gegenseitige Liebe setzen. Das sei nicht möglich, sie kann nicht zu ihm gehen und ihm in die Augen schauen. Einen anderen Weg gibt es nicht, sie muss hinuntergehen zur Piazza und Ulisse begrüßen.

1. Spielfläche:

Eurymachos versucht die anderen Freier zu beeinflussen, dass es Kindermärchen seien, die Penelope erzählt. Ihn kann man damit nicht erschrecken. Ulisse sei mausetot, das weiß doch ein jeder. Leiokritos pflichtet ihm bei. Das sei ein fauler Zauber, den Penelope sich ausgedacht habe, nur um ihn und die anderen hinzuhalten. Aber so dumm sind sie nicht, um darauf hereinzufallen. Alle drei betonen ihre Überlegenheit. Am Ende kriegen sie die Widerspenstige doch!

Demoptolemos wird von Eurymachos befragt, ob er etwas Neues gedichtet habe, um seine Siege populär zu machen? Hat er etwas Neues gereimt, um den Krieg im Volk warm zu halten? Ohne Inspiration kann er nicht dichten! Was hat er überhaupt getrieben, während sie das Heer zum Sieg geführt haben? Leiokritos führt zu seinen Gunsten an, dass er die Siege finanziert habe. Demoptolemos sei nicht ihr Knecht, sondern der Stolz der Nation! Doch den Lohn nimmt er aus ihrer Hand. Er befeuert die Krieger durch schmetternde Verse. Er soll hören lassen, was er Neues auf Lager hat:

„Siehst Du am Himmel das Morgenrot!
Noch ist Troja nicht ganz tot.
Warum denn verzweifeln und hadern?
Noch fließt attisches Blut in unseren Adern.
Hellas, erwecke Deinen Saft!
Troja erschrecke vor unserer Kraft!“

Die Freier pfeifen auf seinen Musenkuss. Er solle etwas Besseres dichten, etwas das optimistisch, martialisch, patriotisch, kannibalisch, demagogisch, nationalistisch, vaterländisch und animalisch klingt. Was wissen die schnöden Händler schon von der Kunst? Er muss endlich zack-zack und ruck-zuck machen.

Die Freier sollen endlich damit aufhören sich zu balgen, denn das Stück muss weitergehen, mahnt Telemachos nachdrücklich.

„Ich verstehe nicht die Mama,
dass sie diese eitlen Tröpfe
nicht schon längst zum Teufel jagte.
Seht sie an:
Leiokritos, den feisten Geldsack,
Eurymachos, den dummen Prahler,
und gar Demoptolemos,
den stot-to-to-ternden Poeten...

Ich verstehe nicht die Mama,
dass sie diesen blöden Kerlen,
die nur dumme Possen reißen,
gar noch freundlich tut,
anstatt kurzerhand
sie hinauszuschmeißen.

Ach, lieber Odysseus,
komm doch endlich nach Haus,
pack doch am Kragen die ganze Bande,
wirf sie mit Schimpf
und mit Schande hinaus.

Er versteht nicht die Mama!“

2. Spielfläche:

Die Heimkehrer werden auf der Piazza des Kastels Circeo vom Bürgermeister und seinen Beamten willkommen geheißen. Sie sind froh, allem Elend und aller Not entronnen zu sein. Das Leid ist vergessen und aus dem Gedächtnis gelöscht. Keiner von ihnen hatte geglaubte, die Heimat jemals wiederzusehen. Als ob ein Wunder geschehen sei, sind sie nun alle wieder da, Gott sei gedankt.

Heil den glorreichen Helden. Heimgekehrt sind sie aus dem Elend der Gefangenschaft. Sie sollen bitte nicht außer acht lassen, was man in der Heimat für sie getan hat. Mit den Waffen haben sie gekämpft. Doch sie sollen nicht vergessen, wer ihnen die Waffen geschenkt hat, erhebt der Bürgermeister seine mahnende Stimme. Die drei Beamten (in der Rahmenhandlung sind es die gleichen Personen wie die drei Freier) runden den Vortrag des Podestà ab und bekennen, dass die bei dem Deal nicht schlecht gefahren seien. „Ihr trugt Eure Haut zu Markte, doch wer kleidete Eure Haut?“ Wacker haben sie sich geschlagen, doch wer stärkte ihren Mut: „Es war unser Siegeswille und unsere moralische Kraft. Leider wart ihr nicht so hart wie wir, sonst wäret ihr nicht unterlegen gewesen! Aber die Schwachheit vor dem Feind sei Euch verziehen.“ Die Heimat nimmt sie in ihrem unbesiegbaren Schoß wieder auf.

Im benachbarten Café wird zum Tanz aufgespielt und die Heimkehrer verziehen sich mit ihren Frauen ins Lokal. Penelope kommt ein wenig zu spät, erwischt aber noch Achille am Ärmel und will wissen, wo Ulisse ist. Achille hat eine schlimme Nachricht für sie.

Sieben harte Jahre waren sie gefangen. Sie wussten nicht, ob der nächste Tag ihnen nicht den oft ersehnten Tod bringen würde, doch ganz unverhofft kam der Tag der Befreiung. All die dunklen Jahre hat er mit ihrem Mann verbracht. „Ulisse hatte nur eine Sehnsucht, Dich Penelope, die ihn aufrecht hielt. Doch als das Wiedersehen mit seiner Familie Gewissheit wurde, da hielten seine Kräfte solche Freudenbotschaft nicht mehr aus. Auf der Überfahrt ist er dann gestorben. Wir versenkten den Leichnam ins Meer.“

Penelope ist erschüttert. Die Nachricht ist grauenhaft und sie entgegnet ihm, dass sie an allen Stellen Nachforschungen gehalten hatte. Immer wieder erhielt sie die gleiche Antwort, dass ihr Mann verschollen sei. Nachdem er schließlich für tot erklärt wurde, wartete die noch ein volles Jahr, schwankte zwischen dem Gebot der Trauer und einer neuen Vermählung. Seit zwei Jahren ist sie wieder verheiratet und nun kommt heute die Nachricht von Ulisses Wiederkehr. Sie fällt aus allen Wolken ihres Glücks und ihr tief geprüftes Herz entwickeln nun Schuldgefühle.

Sie möchte noch gern mit Achille diskutieren, aber er ist nicht in der Verfassung, den Seelendoktor zu spielen. Penelope verabschiedet sich von ihm, damit er mit seinen Angehörigen frohes Wiedersehen feiern kann. Sie solle bitte nicht denken, dass er im Angesicht der grausamen Fügung des Schicksals Schadenfreude empfindet. Penelope wird mit dem Schicksal auch allein fertig und überlässt sich ihren Emotionen:

„Des Meeres tiefem Dunkel
entsteigt ein Toter
und greift mir ans gequälte Herz.
Ulisse steht vor mir,
ruft ins Gewissen meine Schuld.
An meine Liebe glaubtest du,
Ulisse.
Du ahntest nicht
den schändlichen Verrat.
Ich wollte nicht,
dass du je wiederkehrtest.
Durch meine Schuld
erlittest du den Tod.
Des Meeres tiefem Dunkel
entsteigt ein Toter
und greift mir ans gequälte Herz.
Ulisse steht vor mir,
ruft ins Gewissen meine Schuld.
Er liebte mich,
ich habe ihn getötet.“
2. Akt: 1. Spielfläche:

Die Freier halten für die vom Schicksal geschlagene Penelope nur Spott bereit. Was soll das ganze Narrenspiel? Verstehe einer, was Penelope will!

„Der erste Mann im Meere ruht.
Das ist für den zweiten gut.
Die Götter haben es aufs Beste eingerichtet,
mit ihrer Weisheit den Konflikt geschlichtet.
Wer nicht auf dem Schlachtfeld fällt
ist nicht zu des Dichters Ruhm bestellt.

Doch seht, schon hebt sich der Vorhang.
Bin recht gespannt, was nun Penelope
als neue Narrheit uns vorgaukeln wird.“

2. und 1. Spielfläche verschmelzen:

Penelope versucht, ihre Gedanken zu ordnen, und fragt sich, ob ein Toter ihr Gewissen mehr belasten sollte als ein Lebender, den man nur tot geglaubt hat? Tote können nicht mehr wiederkommen und können nicht mehr zerstören. Hart war das Schicksal für ihn und tot war er für sie. Längst bevor der Tod ihn traf.

„Qualen des Gewissens,
dunkle Gedanken
entflieht!
Der Hoffnung zartes Licht
erhellt die Nacht des Schreckens
und Ruhe kehrt zurück
in dies geschlagene Herz.
Mehr Macht als der Tod
hat das Leben.
Komm, mein Geliebter, komm!“

Penelope ruft nach Ercole. Durch einen neuen grausamen Schlag des Schicksals seien sie gerettet. Sie geht in der Wohnung auf die Suche nach ihrem Mann. Das Publikum hört sie rufen: „Ercole, Ercole“. Sie will ihn über den neuesten Stand der Ereignisse informieren.

Mit einem Aufschrei kehrt sie zurück und stürzt auf die Bühne. Sie hat ihn gefunden: Tot, erhängt. Warum tat er das? War das Vertrauen in ihre Liebe so gering oder war seine Liebe zu groß?

Er wollte ihr Gewissensqualen ersparen und ahnte nicht, dass das Geschick in seiner Grausamkeit noch gnadenloser mit ihnen beiden verfahren wird. Aus Liebe hat er sich geopfert, um ihr den Weg frei zu machen, der nun für sie noch jammervoller ist als der Tod. Die Qual, aus der sie sich befreien wollte, schlägt nun mit tausendfacher Wucht zurück. Zerschmettert liegt sie am Boden, dem Feuersturm der Rache wehrlos preis gegeben.

„Was hab ich denn verbrochen, grausamer Gott, dass Du so schrecklich mich strafst?
Wo habe ich verstoßen gegen Dein Gesetz?
Du schweigst? Die Not des armen Menschendaseins
dringt nicht hinauf zu Deinem Wolkenthron!
Richter willst Du sein über unser Handeln
und duldest, dass des Zufalls blindes Toben
immer tiefer uns stößt in Verzweiflung und Not.
Du schweigst, Gott der Gnade?
So schleudre auch mich in den Abgrund, sinnloses Schicksal!
Mein Herz hält solchem Ansturm namenlosen Leidens nicht mehr stand.“

Penelope bricht zusammen. Telemachos will auf die zweite Spielfläche stürzen, da erscheint Odysseus - der Odysseus der homerischen Sage. Ja, er ist zurückgekommen, doch er steht nur als Phantom vor ihnen. In Wahrheit ist er genau so umgekommen wie jener Ulisse in Penelopes Stück.

Und wie alle Millionen, die seit Jahrtausenden zugrunde gingen für die Herrschsucht, die Machtgier und den Ehrgeiz einer Handvoll Hasardeure, die uns auf die Schlachtfelder trieben.

Das Publikum soll nicht glauben, dass unser Krieg angenehmer war, als die Auseinandersetzungen in heutiger Zeit oder unser Blut gemütlicher geflossen wäre, als das eurer Söhne. Er hatte sich das trojanische Pferd ausgedacht und hat dafür gebüßt in langer Irrfahrt auf den Meeren.

Odysseus ist zurückgekehrt, aber nicht aus eigener Kraft, sondern als Produkt euer Phantasie. Der große Homer, meine edlen Damen und Herren, hat durch die Gewalt und gestalterische Kraft seiner Dichtung alle Leiden des Daseins im Zauberspiegel der Phantasie verklärt. So überwand er die Schrecken des unerbittlichen Todes und wurde Penelope wiedergeschenkt. Zusammen mit Telemachos wird er als erstes die lästigen Freier vertreiben. Penelope ist entzückt und bedankt sich, dass er sich durch nichts bezirzen ließ und durch der Dichtung Wunderkraft den Weg zu ihr zurückgefunden hat.
Letzte Änderung am 11. Juli 2015
Beitrag von Engelbert Hellen

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