Lebenslauf von Fanny Mendelssohn-Hensel

Bild von Fanny Mendelssohn-Hensel Fanny Hensel wuchs in einer wohlsituierten und gebildeten Berliner Familie auf. Wie ihre jüngeren Geschwister Felix, Rebecca und Paul erhielt sie eine ausgezeichnete Bildung. Schon früh erkannten der Bankier Abraham Mendelssohn Bartholdy und seine Frau Lea auch Fannys außergewöhnliche musikalische Begabung, so dass Fanny wie ihr Bruder Felix von den besten erreichbaren Lehrern unterrichtet wurde. Während eines mehrmonatigen Parisaufenthaltes im Jahre 1816 erhielten beide Geschwister Klavierunterricht bei der von Joseph Haydn und Ludwig van Beethoven geschätzten Pianistin Marie Bigot de Morogues, der in Berlin von dem bekannten Beethoven-lnterpreten Ludwig Berger fortgesetzt wurde. Für die Ausbildung in Musiktheorie und Komposition engagierte Abraham Mendelssohn den seriösen und gewissenhaften Carl Friedrich Zelter, den Leiter der Berliner Singakademie und Freund Goethes. Bald war Fanny im Freundes- und Bekanntenkreis der Mendelssohns nicht nur als hervorragende Pianistin, sondern auch als Komponistin von Liedern und Klavierstücken bekannt. In seinem kurz nach Fannys plötzlichem Tod erschienenen Nachruf schreibt der Berliner Musikkritiker Ludwig Rellstab, sie habe mit ihrem berühmten Bruder "auch die Schwesternschaft des Talents" geteilt und "in der Musik einen Grad der Ausbildung erreicht, dessen sich nicht viele Künstler, denen die Kunst ausschließlicher Lebensberuf ist, rühmen dürfen" .

Während Felix in den Genuss ausgedehnter Bildungsreisen kam, sich als Dirigent und Pianist erproben konnte und berühmten Musikern seiner Zeit begegnete, wurden Fanny enge Grenzen gesetzt. Schon als 14-jährige von ihrem Vater auf ihre zukünftige Rolle als Ehefrau und Mutter verwiesen, reichte ihr Wirken kaum über den Rahmen des Familien- und Freundeskreises hinaus: öffentliche Konzerte oder die Publikation eigener Kompositionen entsprachen nicht dem herrschenden Frauenbild. Als zum Protestantismus konvertierte Juden bemühten sich die Mendelssohns besonders, allgemein akzeptierten bürgerlichen Konventionen zu entsprechen. Auf den häuslichen Rahmen beschränkt, komponierte Fanny Hensel überwiegend Klavierstücke und Lieder, die sich in kleinem Kreis bei Abendgesellschaften und häuslichen Konzerten aufführen ließen; Werke wie das 1822 entstandene Klavierquartett blieben zunächst noch singulär. Um ihre Kompositionen über den Familien- und Freundeskreis hinaus bekannt zu machen, ergriff sie 1827 und 1830 die Gelegenheit, fünf Lieder und ein Duett mit Klavierbegleitung unter dem Namen Felix Mendelssohns in dessen Liederheften op. 8 und op. 9 zu veröffentlichen und verschenkte Abschriften ihrer Lieder und Klavierstücke an Freunde und Bekannte.

Dennoch standen Fanny Hensel durch die Anfang der zwanziger Jahre ins Leben gerufenen "Sonntagsmusiken" Möglichkeiten offen, ihre Werke zumindest einem kleineren Kreis bekannt zu machen. Nach dem Vorbild von Zelters "Freitagsmusiken" hatte Abraham Mendelssohn Musiker der Hofkapelle engagiert, die an den in vierzehntägigem Abstand zwischen 11 und 14 Uhr stattfindenden Konzerten im Hause Mendelssohn mitwirkten. Nicht nur Felix sondern auch Fanny erhielt auf diese Weise die Möglichkeit, Werke älterer und zeitgenössischer Komponisten aufzuführen und ihre eigenen Werke in einem halböffentlichen Rahmen vor einem ausgewählten Publikum zu erproben. Nachdem Felix Mendelssohn im April 1829 mit Beginn seiner ersten großen Reise nach England das Haus verlassen hatte, scheinen die "Sonntagsmusiken" eine ganze Weile lang ausgesetzt worden zu sein, bis Fanny, die im Oktober 1829 Wilhelm Hensel geheiratet hatte, im Frühjahr 1831 den Entschluss fasste, diese Konzerte wieder aufzunehmen, die, wie Rellstab berichtet, "ein künstlerisches Fest seltenster Art" waren, "wo die classischen Werke der älteren, wie die besten der neueren Zeit in sorgfältigster Ausführung gehört wurden und der Genuss sich durch die Mitwirkung oder Anwesenheit der ausgezeichnetsten Künstler erhöhte, die unserer Stadt angehörten oder sie als Fremde aufsuchten". Fanny Hensel dirigierte und begleitete ihren aus ca. 20 Sängern und Sängerinnen bestehenden Chor und führte gemeinsam mit befreundeten Musikern Oratorien, Opernarien und Kammermusik von Johann Sebastian Bach, Wolfgang Amadeus Mozart, Ludwig van Beethoven, Carl Maria von Weber und Felix Mendelssohn Bartholdy auf einem hohen Niveau auf. Dort fand sie auch ein Auditorium für ihre eigenen Werke. Ihre Klavierstücke, Lieder, Duette, Chorlieder, die Szene Hero und Leander für Sopran und Klavier bzw. Orchester, das posthum als op. 11 erschienene Klaviertrio und die Orchesterouvertüre, zu deren Aufführung sie das Orchester des Königstädter Theaters engagiert hatte, erklangen dort im Laufe der Jahre vor einem immer größer werdenden Publikum. Neben Freunden und Bekannten fanden sich zu den "Sonntagsmusiken" berühmte Persönlichkeiten wie die Brüder Humboldt, Franz Liszt, Clara Schumann, Johanna Kinkel, Heinrich Heine u.a. ein. Diese Konzerte, mit denen Fanny Hensel sich nach Rellstab "ein Verdienst um die Kunstzustände unserer Vaterstadt, für welches wir tief verschuldet bleiben", erwarb, entschädigten sie für manche Einschränkungen. Die Leitung dieser Konzerte wirkte sich auch positiv auf ihre Arbeit als Komponistin aus. Sie komponierte 1831 größere Werke für Solisten, Chor und Orchester, wie die Kantaten Hiob und Lobgesang und die "'Musik für die Toten der Cholera-Epidemie 1831" (Oratorium nach Bildern der Bibel).

1839/40 erfüllte sich die Familie Hensel einen langgehegten Wunsch und unternahm eine einjährige Italienreise. Dieses Jahr gehörte für Fanny zu der glücklichsten Zeit ihres Lebens. Dort fand sie endlich die lang ersehnte Anerkennung über den Kreis der Familie hinaus und lernte verschiedene Musiker kennen, die ihre Werke schätzten und ihre Kreativität förderten, u.a. auch den jungen Charles Gounod, der in seinen Memoiren rückblickend schreibt: "Frau Hensel war außerordentlich musikalisch gebildet und spielte vorzüglich Klavier. Trotz ihrer kleinen, schmächtigen Natur war sie eine Frau von hervorragendem Geiste und von einer Energie, die man in ihren tiefen, feurig blickenden Augen lesen konnte. Zugleich war sie eine selten begabte Komponistin..." . Zurück in Berlin komponierte Fanny ihr bedeutendstes Klavierwerk, den biographisch geprägten Zyklus Das Jahr (1841). Die Idee, die 12 Monate eines Jahres musikalisch darzustellen, war zu ihren Lebzeiten einmalig.

Erst in ihrem letzten Lebensjahr fand Fanny, unterstützt durch Robert von Keudell, einen Freund der Familie, den Mut, auch gegen den ausdrücklichen Willen ihres Bruders systematisch mit der Drucklegung ihrer Kompositionen zu beginnen. So erschienen ab 1846 Lieder für eine Singstimme mit Klavier, Chorlieder a cappella und Klavierstücke als op. 1 bis 7. Zu weiteren eigenen Veröffentlichungen sollte es dann jedoch nicht mehr kommen: Am 14. Mai 1847 erlag Fanny Hensel während der Probe zu einer ihrer Sonntagsmusiken unerwartet einem Gehirnschlag.

Nach ihrem Tod arrangierte Felix Mendelssohn Bartholdy im Auftrag seines Schwagers Wilhelm Hensel endlich die Herausgabe weiterer Werke, die 1850 erschienen. Der Tod seiner Schwester führte bei Felix zu einer tiefen Depression; er starb überraschend am 4. November 1847.

Im Jahre 1987 begann der Furore Verlag mit der erstmaligen Veröffentlichung ihrer Klavier- und Kammermusik sowie der Werke mit größerer Besetzung. Mittlerweile gilt Fanny Hensel als eine der bedeutendsten deutschen Komponist(inn)en der Romantik.



Annette Maurer
Letzte Änderung am 15. Juni 2004