Michael Tippett (1905-1998)

The Mask of Time

(Die Maske der Zeit)

Allgemeine Angaben zum Werk:

Titel: The Mask of Time
Titel deutsch: Die Maske der Zeit
Anlass: Kompositionsauftrag des Boston Symphony Orchestra
Entstehungszeit: 1980-82
Uraufführung: 5. April 1984 in Boston (Symphony Hall)
Orchester: Boston Symphony-Orchestra unter der Leitung von Sir Colin Davis
Chor: Tangelewood Festival Chorus
Solisten: Faye Robinson, Yvonne Minton, Robert Tear, John Cheek
Besetzung: Soli (SMzTB), Chor und Orchester
Erstdruck: London: Schott, 1983
Verlag: Reading: Research Publications, 1992
Bemerkung: Es ist äußerst problematisch, dieses inhaltlich schwer verständliche Werk zu analysieren. Es mangelt an Begründungshinweisen, die ein gegenständliches Erkennen erleichtern würden. Die Handlung bewegt sich grenzüberschreitend von einem Splitter zum anderen, ohne dass ein durchgehender roter Faden zu erkennen wäre. Um überhaupt zu einem Resultat zu kommen, halten wir uns an das, was Michael Tippett in seinem Vorwort selbst erklärt.

Gekürztes Zitat: „In THE MASK OF TIME geht es vorrangig um das Transzendentale. Das Werk setzt sich mit jenen elementaren Dingen auseinander, die den Menschen formen, seiner Beziehung zur Zeit, seinem Platz in der Welt, wie wir ihn kennen, sowie im geheimnisvollen Universum in seiner ganzen Weite. Andererseits unterwirft es sich keiner speziellen Liturgie oder gängigen Theorie, biblisch oder nicht, von der Erschaffung der Welt und dem Geschick der Menschheit.

Unser Jahrhundert hat derart unermesslich erweiterte Vorstellungen von Raum und Zeit gewonnen, dass ich meine, es wäre ein Irrtum, sich auf vergangenen Konzeptionen zu berufen. So ist das Werk, das ich geschrieben habe, weder die Vertonung einer Messe noch ein Oratorium. So war es unvermeidlich, dass ich eine Vielzahl koexistierender Gedankengänge miteinander in Einklang zu bringen hatte.“

Um dem Hörer ein wenig von diesen Gedankengängen zu vermitteln, gehen wir die surrealistischen Inhalte der zehn Sätze durch und machen eine Anmerkung zu dem, was logisch greifbar ist. Der Text stammt vom Komponisten unter Nutzung unterschiedlicher Quellen, darunter von William Butler Yeats, Percy Bysshe Shelley, Rainer Maria Rilke, Anna Achmatowa, Anni Dillard und Mary Renault.

Beschreibung:

ERSTER TEIL

Erster Gesang: GEGENWART (Presence)

Er befasst sich mit der Erschaffung der Welt, die der Tenor im Kollektiv mit dem Chor sparsam erklärt: Laut erschallt der Gesang der Ringelgans hoch oben in der Weite der Nacht. Die Nacht zerrinnt und der Tag bricht an. Damit hätten wir das Wesentliche erfasst.

Zweiter Gesang: ERSCHAFFUNG DER WELT DURCH MUSIK (Creation of the World by Music)

Musik besitzt physische Macht und schafft Ordnung. Die vier Kategorien der Solisten wechseln sich ab und geben wichtige Hinweise. Shiwa ist mit beredtem Fuß in die Welt getanzt und Orpheus schafft es, mit seiner Leier die Steine zu rühren. Die Schar der Engel im Himmel singt auch. Selbst der Dichter singt, wenn sein Werk vollendet ist.

Dritter Gesang: DSCHUNGEL (Jungle)

Plapper, schnatter! Äffchen, tapp, tapp! Riesenkatzen fauchen und Hyänen lauern. Die Riesenwasserwanze saugt ihr Opfer aus. Die Gifte schießen durch die Öffnung und zersetzen des Opfers Muskeln, Gebein und Organe. Der umfangreiche Text berichtet vom Fressen und Gefressenwerden in der Natur. Manchmal legt ein Goldauge seine Eier auf einem grünen Blatt an einem langstieligen Halm ab. Es ist hungrig. Es hält beim Legen inne, dreht sich um und frisst seine Eier, eins ums andere. Dann legt es weitere und frisst auch diese. Das Goldauge wendet sich an den Schöpfer und fragt: „Sag’ was soll das nur!“

Vierter Gesang: DIE EISDECKE TREIBT VON SÜD NACH NORD (The Ice-cap moves South-North)

Der Chor informiert den Konzertbesucher, dass der Mensch erschaffen wurde und hält ein Bild bereit, das ihn als Tötungsmaschine festlegt. Die Männer gehen auf die Jagd. Das Fischen bringt kein nennenswertes Resultat, denn die Fische schwimmen schon jetzt unter dem Eis des Flusses und atmen nur am Luftloch. Die Kälte hat zugenommen. Um einen Bären oder ein Karibu zu fangen, bedarf es der Geschicklichkeit und der Geduld. Der starke Mann folgt den Spuren des Rentieres und hat Netz und Jagdspeer dabei. Die Pflicht der Frau ist es, die Mahlzeit zuzubereiten und den Rest bekommen die Hunde. Wenn die Nacht abwärts klettert, folgt man dem flackernden Licht in den Höhlendom, um zu tanzen. Die Hand gleitet über das Bild des fliehenden Bisons an der Höhlenwand. Ein Hurra nach der Ernte! Der Dreschflegel drischt das sprießende unvergängliche Korn. Wir steigen die Tempelstufen empor. Hoch über dem Tal zückt der Priester das Obsidianmesser und reißt dem Gefangenen das schlagende Herz heraus – als Opfer für die Sonne.

Fünfter Gesang: TRAUM VOM GARTEN DES PARADIESES (Dream of the Paradise Garden)

Es wird darauf hingewiesen, dass das Paradies ein Garten war. Auf engsten Raum wurde der Schöpfung ganzer Reichtum zusammengetragen. Der Sinn des Menschen zielte schon immer darauf ab, einen Garten zu besitzen. Blumen, würdig des Paradieses, schmücken diesen Ort. Der Abendschatten durchflutet die Auen des Friedens. Die Ansiedlung von Drachen und Zentauren macht den Gesang konfus. Die Schlange gleitet schnell und ringelnd in ihr Loch.


ZWEITER TEIL

Sechster Gesang: DER TRIUMPH DES LEBENS (The Triumph of Life)

Der Titel bezieht sich auf das letzte Gedicht von Percy Bysshe Shelley (1792-1822) kurz vor seinem tragischen Tod. Der Chor erklärt, dass der Dichter schlaflos auf dem Hügel ruhte und die matten Glieder ausgestreckt hatte. Der Tenor führt aus, was Shelley dachte:

Es floh vor mir die Nacht;
Im Rücken stieg der Tag;
Die Tiefe lag mir zu Füßen,
Der Himmel hoch über mir,
Als ein seltsamer Traum aus meinem Grübeln wuchs.
Traum - es war kein Schlaf -
Von solcher Klarheit, das Geschehen wirklich schien...

Nun, was hat der Dichter geträumt? Er sah am Rande einer Straße Menschenmengen, Männer und Knaben, Mückenschwärmen gleich im letzten Sonnenstrahl in einem gewaltigen Strom vorbeiziehen. Alle hasteten, doch keiner schien zu wissen, woher sie kamen, weshalb und welchem Ziel sie entgegenstrebten. Die Menge wurde unruhig, denn es kam ein Wagen in brausender Pracht vorbei und dazu eine Gestalt. Die Augen der vier Wagenlenker waren verbunden, was den Dichter in Erstaunen versetzte, denn Blindheit bringt einem schnellen Gefährt wenig Nutzen. Obwohl die Bedingungen, den Wagen zu steuern, schlecht waren, fuhr er unbeirrt und majestätisch seine Bahn. Betroffen betrachtete er die Gestalt auf dem Wagen und dachte: „Hier ist alles vertan!“ Eine Stimme drang zu ihm, sie sagte nur das Wort „Leben“. Doch was ist „Leben“? fragte der Dichter. Es folgt ein weiteres Beispiel mit einem Schiff. Der Konzertbesucher hat nun die Möglichkeit, zusammen mit Dichter und Komponist Spekulationen anzustellen, was „Leben“ ist. Flammen weiden sich am Fleisch, am Gebein und am Blut. Ist das nun wirklich oder unwirklich?

7. Gesang: SPIEGEL DES WEISSEN LICHTS (Mirror of Whitening Light)

Im Eilschritt geht es weiter nach Samos. Ein Besuch bei Pythagoras bringt den Konzertbesucher mit Mathematik und Alchemie in Berührung. Poetisch klingt der Chor folgendermaßen:

O Zinnober, rosenrot dies dunkle Metall,
höllisch glühend
heißer, heißer!
Strahlend
Schaut, schaut!
Ein silberner Tropfen, Perle aus Quecksilber.
Denn Feuer ist Alchemie.

8. Gesang: HYROSHIMA, MON AMOUR

Hiroshima soll in der Zeitblende nicht vergessen werden. Sopran und Chor interpretieren einen Textteil des Requiems von Anna Achmatowa. Es ist ein Klagegesang an alle, die ihr Leben durch Gewalteinwirkung verloren haben. „Lebewohl! Du sollst meine Witwe sein, Oh meine Taube, mein Stern, meine Schwester!“

9. DREI LIEDER (Three Songs)

Der Plan des Komponisten sah vor, eine runde Zahl von zehn Gesängen zu komponieren. Nun standen aber zwölf Texte zur Verfügung. Folglich entschloss er sich, den neunten Gesang in drei Teile zu zerlegen.

DAS ABGETRENNTE HAUPT (The Severed Head)
hat den Tod des Orpheus zum Inhalt, der von den thrakischen Frauen ins Jenseits geschickt wurde. Das anatomische Gefüge wurde in Stücke gerissen. Zum Zerbeißen war der Schädel zu hart, deshalb schleuderte man ihn in den Strom. Schaut die wilden Frauen! Man erinnere sich an Rainer Maria Rilke, der die thrakischen Frauen unter die Lupe nahm.

DIE BEDRÄNGTEN FREUNDE (The Beleaguered Friends)
befinden sich in Peking. Wenn nichts bleibt, wohin sollen sie gehen? Wenn etwas bleibt, bringt Eile das Glück! Nicht im Palast aus Jade, wo der Wahrsager des Kaisers das Schafgarbenorakel befragt, und auch nicht in der Hütte, wo der blinde Flöte spielende Straßenhändler Münzenstempel ertastet, wird Antwort zuteil. Im Ziegenwinterhaus wird das Buch befragt, welche Zahl die richtige sei. Es ist die vierzigste von vierundsechzig!

DER AUFBRUCH DES JUNGEN SCHAUSPIELERS (The Young Actor Steps Out)
Beim Wandern schaute er nach oben und er sieht das Antlitz der Macht. Dieses sagte: „O Mensch, schließe Frieden mit deiner Vergänglichkeit“.

Zehnter Gesang: DAS SINGEN SOLL NIEMALS ENDEN (The singing will never be done)

Soli und Chor bleiben stumm, weil kein Text zur Verfügung steht.
Letzte Änderung am 26. Juli 2008
Beitrag von Engelbert Hellen

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