Lebenslauf von Erkki-Sven Tüür

Bild von Erkki-Sven Tüür Der 1959 in Kärdla auf der estnischen Insel Hiiumaa gebürtige Erkki-Sven Tüür gehört zu den bemerkenswertesten Komponisten seiner Generation. Seine musikalische Ausbildung erfolgte zunächst autodidaktisch, dann an der Musikschule Tallinn (1976-80); später studierte er Komposition bei Jaan Rääts an der Musikakademie Tallinn sowie privat bei Lepo Sumera (1980-84).

1979 gründete Tüür ein kammermusikalisches Rockensemble "In Spe", das bald zu den beliebtesten Rockgruppen in Estland zählte. Für dieses Ensemble engagierte sich Tüür als Komponist, Flötist, Keyboarder und Sänger.

Von 1989 bis 1992 unterrichtete er Komposition an der Estonian Academy of Music.

Mit den Anfängen der "Perestroika" wurde die Musik Tüürs zum erstenmal auch außerhalb von Estland aufgeführt. Sein erster durchschlagender Erfolg in Finnland (mit "Insula deserta" von 1989) führte zu einer Reihe von Auftragswerken, darunter "Searching for Roots: Hommage à Sibelius" (1990) für das Philharmonische Orchester Helsinki und "Architectonics VI" (1991) im Auftrag des Helsinki-Festivals. Später erhielt er weitere Kompositionsaufträge für das American Waterways Wind Symphony Orchestra, das Stockholmer Saxophon-Quartett, das Hilliard-Ensemble, den Piano Circus, das Grieg-Trio, den Kölner Rundfukchor und das Raschèr Saxophon-Quartett, das Symphonische Staatsorchester Estland, das Königliche Flandrische Philharmonische Orchester, das City of Birmingham Symphony Orchestra, das BBC National Orchestra of Wales, die Oper Dortmund (Oper: "Wallenberg"), das RSO Stuttgart, das Detroit Symphony Orchestra und Philharmonia Orchestra.

Die wichtigsten Aufnahmen mit Werken Tüürs sind bei ECM erschienen.

Seine Musik erklingt immer häufiger nicht nur in ganz Europa, sondern auch in Nordamerika, Australien und Japan. Paavo Järvi, künstlerischer Leiter des Cincinnati Symphony Orchestras, ging im März 2004 mit Tüürs "Exodus" auf USA-Tournee, unter anderem mit einem Auftritt in der Carnegie Hall in New York. Tüürs Violin-Konzert wurde mit Isabelle van Keulen und dem BBC Philharmonic Orchestra unter der Leitung von Paavo Järvi bei den BBC Proms im August 2003 in der Royal Albert Hall, London, aufgeführt.

Zurzeit arbeitet er an einer ganzen Reihe von Kompositionsaufträgen, so unter anderem an einem Klavierkonzert, einem Akkordeonkonzert sowie einem umfangreichen Orchesterwerk.

Werke von  Tüür wurden bei vielen Festivals aufgeführt; so zum Beispiel bei Bang on a Can (New York), Border Crossings (Toronto), Musica (Strasbourg), Stockholm New Music, Vale of Glamorgan Festival, Berlin Festwoche, Salzburg Festival, Lockenhaus Chamber Music Festival, Luzern Festival, Klangspuren, Wien Modern, Gstaad Festival, Emerging Light (London), Huddersfield Contemporary Music Festival oder Musica Nova Helsinki.

Zu den zahlreichen Preisen, die Tüür zugesprochenen wurden, zählen der Kulturpreis der Republik Estland (1991 und 1996) und der Art Prize of Baltic Assemble 1998. Heute lebt er als freischaffender Komponist abwechselnd in Tallinn und auf der Insel Hiiumaa.

"Bei meinem kompositorischen Schaffen handelt es sich ausschließlich um das Verhältnis zwischen geistiger und emotionaler Energie sowie um die Möglichkeiten, diese zu lenken, zu konzentrieren, zu liquidieren und wieder ansammeln zu lassen. Meine Stücke stellen abstrakte, klingende Dramen dar mit vielen agierenden Personen und extrem dynamischen Handlungssträngen; sie entfalten sich innerhalb eines Raumes, der sich unablässig verschiebt, ausdehnt und zusammenzieht, aber nicht etwa wie ein feingliedriges Mosaik, sondern eher wie eine säulenhafte Skulptur. Ich hege ein starkes Interesse für die Verbindung von Gegensätzen - Tonalität/Atonalität, regelmäßig wiederkehrende Rhythmen/unregelmäßige komplexe Rhythmen, Besonnenheit/explosive Theatralik - und vor allem für die Art und Weise, wie sich diese Gegensätze allmählich durchdringen und gegenseitig ablösen. Seit etwa 2002 hingegen folgen meine neueren Kompositionen (Oxymoron, Meditatio, 5. Sinfonie, Noesis) einem anderen kompositorischen Ansatz: Ich habe eine Methode entwickelt, die ich „vektorielles Schreiben“ nenne, da das Prinzip der Stimmführung im weiteren Sinn den Projektionen von Vektoren in unterschiedliche Richtungen folgt. Gleichzeitig wird das zu Grunde liegende kompositorische Material durch einen bestimmten numerischen Code definiert, der wie ein Gen funktioniert, das die gesamte kompositorische Formung und alle möglichen Variantenbildungen und Transformationen erzeugt. Diese Technik erlaubt mir, eine sehr viel größere harmonische Varianz zu erreichen, ohne den Zusammenhalt des Werkes zu gefährden.“



Quelle: Edition Peters
Letzte Änderung am 5. März 2008