Lebenslauf von Hugo Ulrich

Bild von Hugo Ulrich Hermann Mendel in "Musikalischen Conversations-Lexikon (1874)":

Ulrich, Hugo, einer der begabtesten Componisten der Gegenwart, wurde am 26. Novbr. 1827 zu Oppeln in Schlesien, wo sein Vater Gymnasialoberlehrer war, geboren. Beide Eltern waren für Musik begeistert; der Vater als Clavierspieler geschätzt und die Mutter sing namentlich Mozart'sche Arien mit viel Geschmack und Verständniss. Diese ersten Eindrücke im elterlichen Hause waren natürlich von entscheidendem Einfluss auf seine spätere Laufbahn. Nachdem er im neunten Jahre bereits seinen Vater verloren hatte, ertheilte ihm der Rector Kotzoldt Clavier- und Orgelunterricht, und seine Fortschritte hierin waren so ausserordentlich, dass die Einsichtigern unter seiner Umgebung überden späteren Beruf des aussergewöhnlichen Knaben keinen Augenblick im Zweifel waren. Kaum zwölf Jahre alt verlor er auch die Mutter durch den Tod, und so wurde er früher als unter gewöhnlichen Verhältnissen in den Kampf des Lebens hinausgeführt. Er kam zunächst auf das Gymnasium St. Matthias und ward in das mit demselben verbundene Convict aufgenommen, in welchem arme Schüler Unterhalt und freien Unterricht erhalten, wofür sie die Kirchenmusik auszuführen haben. Er wirkte hier als Altist und hatte beim Gymnasialgottesdienst die Orgel zu spielen. Hier erhielt er auch den ersten Unterricht im Generalbass durch den damaligen Domorganisten Brosig. Die Musik nahm ihn nunmehr bald so gefangen, dass er sich jetzt schon ihr ganz zu widmen entschlossen war; allein dem widersetzten sich Vormund und Verwandte ganz entschieden. Ulrich ging 1846 nach Glogau, um hier seine Gymnasialbildung zu vollenden, und Ende desselben Jahres nach glücklich bestandenem Abiturientenexamen bezog er die Universität Berlin, aber mit dem entschiedenen Vorsatz, sich ganz der Musik zu widmen. Er war von dem Breslauer Universitätsmusikdirektor Mosewius an Marx gewiesen, allein da er zu unbemittelt war, um Honorar zahlen zu können, nahm ihn Marx nicht zum Schüler an. Auf die Verwendung von Meyerbeer genoss er aber den Unterricht Dehn's durch länger als zwei Jahre, und dieser wurde so fruchtbringend für ihn, dass er mit seinen ersten Werken für Kammermusik schon (das Dehn gewidmete Trio op. 1) wie mit seinen beiden Sinfonien das allgemeinste Aufsehen erregte. Seine H-moll-Sinfonie, welche 1852 erschien, machte bald die Runde durch die meisten bedeutenden Concertinstitute Deutschlands und mit seiner Sinfonie triomphale gewann er 1853 den von der Königl. Belgischen Akademie zu Brüssel ausgeschriebenen Preis von 1500 Frc. und die erste Aufführung der Sinfonie in Brüssel am 27. Septbr. 1853, der er beiwohnte, brachte ihm zugleich den begeisterten Beifall des Publikums; den gleichen Erfolg hatte die Sinfonie bei jeder Aufführung an den verschiedenen Orten, und mit den gespanntesten Erwartungen sah man neuen Schöpfungen des jugendlichen Componisten entregen, Ulrich hatte sich in diesen Werken vollständig als Künstler von Gottes Gnaden offenbart, dass man das Höchste von ihm glaubte erwarten zu müssen. Dass er diese Hoffnungen nicht erfüllte, verschuldet zumeist die Erbärmlichkeit unserer gesammten Musikverhältnisse, die nur die Mittelmässigkeit trägt und begünstigt, bedeutendere Naturen aber zum erbittertsten Kampfe nöthigt. Ulrich war eben zu bedeutend, um von unsern modernen Musikverhältnissen getragen zu werden, aber er hatte auch den Muth nicht, mit ihnen auf Tod und Leben zu kämpfen und so verkam er trotz seiner herrlichen Begabung leider unter Handwerkerarbeit. Im September 1855 war es ihm endlich beschieden, das Land seiner Sehnsucht, Italien, zu sehen, das er mit den grossartigsten Plänen zu neuen Werken betrat; er lebte in Venedig, Turin, Genua, Rom und Mailand, und nachdem er sich zuerst ganz dem ungetrübten Genuss des Wunderlandes hingegeben hatte, begann er auch wieder zu arbeiten. Eine Oper: »Bertran de Born«, zu der ihm Max Ring den Text geschrieben hatte, beschäftigte ihn neben andern ernsthaft, bis ihn die äussern Umstände wieder nach Deutschland trieben. Im März 1858 kam er wieder nach Berlin zurück und sah sich bald von dem Ernst des Lebens so erfasst, dass ihm die Schaffensfreudigkeit seiner Jugendjahre ganz vollständig verloren ging. Unterricht zu ertheilen war ihm so widerwärtig, dass er es bald vollständig aufgab, nur kurze Zeit war er als Lehrer am Conservatorium thätig; dann aber führte er, um sein Leben zu fristen, Arrangements für Clavier aus. Diese gehören zum Besten, was auf diesem Gebiete zu leisten ist; aber er selbst ging dabei zu Grunde. Wohl brachte er noch den grössten Theil seiner Oper fertig, auch neben manchem Andern eine dritte Sinfonie in G-dur, allein Zeit und Menschen hatten ihm alle Lust am Schaffen geraubt, er vermochte nichts mehr zu arbeiten, was seinen ersten Werken auch nur entsprach. Dazu zeigten sich in den letzten Jahren seines Lebens bereits die ersten Spuren der fürchterlichen Krankheit, einer schmerzhaften Nierenkrankheit, der er am 23. März 1872 erlag. Er ruht in Berlin auf dem Katholischen Kirchhofe in der Liesenstrasse. Wenn es auch eines günstigern Geschicks bedurfte, um alle die Hoffnungen zu erfüllen, die man auf ihn setzen konnte, so hat er doch auch mit dem, was er hinterliess, sich ein Gedächtniss gestiftet in der Geschichte seiner Kunst.

Tongers "Conversations-Lexicon der Tonkunst (1884)":

Ulrich, Hugo, Componist, geb. 26. November 1827 zu Oppeln (Schlesien), gest. 23. Mai 1872 zu Berlin, Schüler von Mosewius in Breslau und Dehn in Berlin, 1859 bis 1863 Lehrer der Composition am Stern'schen Conservatorium daselbst, schrieb drei Sinfonien (Nro. 2: "Sinfonie triomphale" ist vielfach mit Erfolg aufgeführt), sowie ein Klaviertrio. Eine Oper "Bertran de Born" blieb unbeendet.
Letzte Änderung am 1. Mai 2004