Lebenslauf von Sándor Veress

Bild von Sándor Veress Sándor Veress gilt als der bedeutendste ungarische Komponist der Generation nach Bartók und Kodály. Er steht für eine Bartók-Nachfolge jenseits epigonaler Schulbildungen. Bezeichnend ist seine Einsamkeit, die – zusätzlich zu den Kriegen und Katastrophen des Jahrhunderts – dazu beigetragen hat, dass sein Werk keine größere Beachtung gefunden hat. Er ist seinen Weg als Komponist, zu dem er sich in absoluter Weise persönlich verpflichtet fühlte, allein gegangen.

Der Ansatzpunkt seines Komponierens liegt in der Verbindung der dem ungarischen Volkslied abgehörten melodischen Wendungen mit einer kontrapunktischen, an der italienischen Vokalpolyphonie geschulten Kompositionsweise. Das führte ihn zu einem freien Umgang mit der Intervallik und zur Bildung leiterunabhängiger Ganz- und Halbtonkombinationen. So verfügte er bereits im 1. Streichquartett über einen zwölfstufigen Tonsatz, der jedoch stets auf ein tonales Zentrum ausgerichtet ist, allerdings nicht auf eine akkordliche Tonika, sondern einen Zentralton. Auch in der kompositorischen Auseinandersetzung mit der Zwölftontechnik, zu der sich Veress nach der Emigration aufgefordert fühlte, wird ein solches Zentrum beibehalten; es wirkt nun nur in anderer Weise auf den Tonsatz, indirekt und differenzierter. Die Grenze des Tonsatzes ist für Veress der Halbtonschritt; Vierteltöne oder unbestimmte Tonhöhen kommen nicht als Strukturmomente in Betracht.

Das Werk von Sándor Veress ist weitgespannt. Schwerpunkte bilden die Liedbearbeitungen für Chöre, die der Volksmusik zuneigen, und auf der Seite der Kunstmusik höchsten Anspruchs die Kammermusik für traditionelle und für je eigens gebildete Ensembles. Werke wie die "Musica concertante" für zwölf Solostreicher und der "Orbis tonorum" für Kammerensemble überschreiten die Grenze der Kammermusik. Eine vielgestaltige Werkgruppe bilden die Konzerte für Violine, Klavier – dazu gehört auch "Hommage à Paul Klee" – , Streichquartett, Oboe (Passacaglia concertante), Klarinette und zwei Posaunen (Tromboniade) – das letzte vollendete Werk. Eine weitere Gruppe bilden die zwei Sinfonien zusammen mit dem "Threnos in memoriam Béla Bartók" und der "Sonata per orchestra". Den beiden großen Chor-Orchesterwerken "Sancti Augustini Psalmus" und "Glasklängespiel" stehen die beiden Ballette gegenüber, die allerdings einer kongenialen Choreographie bedürfen. Für eine Singstimme komponiert sind die "Fünf Lieder nach Gedichten von Attila József" und die "Elegie nach Walther von der Vogelweide", jene mit Klavier-, diese mit Kammerorchesterbegleitung. Es ist offenkundig, dass die Textwahl und –zusammenstellung in diesen zentralen Werken keineswegs zufällig ist.

Die Aufgabe, die Werke von Veress zu verbreiten, steht noch offen. Es ist eine Musik ganz eigenen Gewichts, die allein für sich oder in Verbindung mit anderen großen Werken – nicht nur solchen aus der Tradition von Bartók zu Lutoslawski und Kurtág, sondern auch Werken aus der Zweiten Wiener Schule, besonders Weberns, Werken Strawinskys und Hindemiths und weit darüber hinaus – ihre Eigenart und Bedeutung unverkennbar zum Erklingen bringt.



Beitrag von Andreas Traub
Letzte Änderung am 22. Januar 2005