Lebenslauf von Felix Draeseke
Schlägt man einen gängigen Konzertführer auf, umfasst die Information zu Felix Draeseke gewöhnlich nicht mehr als ein paar Zeilen, z.B.: "Felix Draeseke (1835-1913), von Schumann, Brahms und Liszt ausgehend, steht an der Grenze zur Spätromantik. Gelegentlich zu hören ist seine hübsche Serenade D-Dur op. 49 (1888) oder (von 4 Symphonien) die Tragica c-Moll op. 40 (1886). Sein brillantes Klavierkonzert (1886) und das Konzert für Violine (1881) sind vergessen." [Reclams Konzertführer, 15.Auflage 1994, S.924] Hört man Draesekes Musik, mag einem eine solch knappe Einordnung allerdings nicht mehr genügen. Hinzu kommt das Unverständnis darüber, weshalb die meisten Werke Draesekes vergessen wurden. Doch beginnen wir im Jahre 1835, in dem Felix August Bernhard Draeseke am 7. Oktober in Coburg geboren wurde. Seine Mutter starb acht Tage nach seiner Geburt, sodass die drei Schwestern seines Vaters für ihn sorgen mussten. Schon früh wandte er sich der Musik zu. Er erhielt seinen ersten Klavierunterricht mit fünf Jahren und ab 1850 wurde er von dem Flötenvirtuosen Johann Caspar Kummer in Komposition unterrichtet. Schon zwei Jahre später, also 1852, begann er sein Studium am Leipziger Conservatorium, wo er auch 1855 seinen Abschluss erhielt. Seine Lehrer waren u.a. Ignaz Moscheles (Klavier) und Julius Rietz (Komposition). Draeseke hatte eine Vorliebe für Richard Wagners Musik, denn er komponierte selbst gerne sehr melodisch und war weder dramatischen Ausbrüchen noch Masseneffekten abgeneigt. Die neudeutsche Richtung vertrat er auch als Kritiker, d.h. er stellte sich auf die Seite von Wagner und Liszt, was ihm nicht gerade die Zuneigung von Johannes Brahms eingebracht haben dürfte. Trotzdem achtete Brahms Draeseke durchaus als großen Komponisten, sonst hätte er Draeseke nicht als Konkurrenten betrachten können. Draeseke lernte sowohl Wagner als auch Liszt persönlich kennen. Liszt symphonische Dichtungen hatten auf ihn einen ebenso tiefen Einfluss wie Wagners Musik. Rein menschlich gesehen stand ihm aber Wagner näher, dem er eine größere Nähe zum Volk zuschrieb. Diese Nähe zu Wagner war es aber auch, die dazu beitrug, dass Draesekes Musik bis heute so sehr vernachlässigt wird. Denn ebenso wie Wagners wurde auch Draesekes Musik von den Nationalsozialisten für ihre Zwecke benutzt. Die Nähe zum Volk, die Dramatik, die mitreißenden Gesten, all dies eignete sich nur zu gut, um Draeseke als einen "germanischen" Komponisten hinzustellen. Und so kam es auch, dass Draesekes Biographie in zwei Bänden im Dritten Reich mit dem Titel "Der Lebens- und Leidensweg eines deutschen Meisters" (von Erich Roeder) herauskam. Von 1862 bis 1876 hielt sich Felix Draeseke in der Schweiz auf. Und auch später zog es ihn noch öfters in die Ferne. So z.B. 1869 als er zunächst nach Frankreich, dann über Spanien nach Nordafrika und schließlich nach Italien reiste. Auf dieser Reise entstand die erste seiner vier Symphonien (op.12), die am 31. Januar 1873 unter der Leitung von Julius Rietz in Dresden uraufgeführt wurde. In ihr vereinigt Draeseke "Zukunftsmusik" in "klassischer Form". Sein Blick geht also gleichzeitig in die Zukunft wie auch die Vergangenheit, eine Tatsache, die von seinen Kritikern gerne übersehen worden ist. Und auch die ihm nachgesagte unumschränkte Bewunderung für Richard Wagner ist nur eine Halbwahrheit. So sagt Draeseke zwar: "Für mich war von den neueren Tonsetzern einzig Wagner der massgebende geblieben." Aber er sagt auch: "Doch hat es lange Zeit gebraucht, ehe ich mich mit der späteren Entwicklung des Meisters [Wagner] befreunden konnte, und ich muss gestehen, dass gewisse Eigenheiten seines späteren Stiles mich auch heute noch nicht sympathisch berühren und ich sie nicht gerne nachgeahmt und zur Regel erhoben sähe." Im Jahre 1876 vollendete Draeseke seine Symphonie No. 2 (op.25). Auch diese wurde in Dresden uraufgeführt, u.z. am 15.Februar 1878 unter Ernst von Schuch. Dresden ist auch die Stadt, in der sich Draeseke nun für den Rest seines Lebens niederlässt. Hier wirkt er auch ab September 1884 als Professor für Komposition, Harmonielehre und Kontrapunkt am Dresdner Konservatorium. Draeseke ist mittlerweile ein sehr produktiver Komponist. Neben seinen Symphonien schreibt er auch Opern (z.B. "Herrat", 1877-79 oder "Gudrun", 1879/82-84), ein Requiem (op.22, 1880), drei Streichquartette, ein Violinkonzert und ein Klavierkonzert. Zehn Jahre nach seiner zweiten folgt nun die dritte Symphonie (op.40), die "Symphonia tragica". Wie der Name schon sagt, ist es ein sehr dramatisches Werk, dessen Tiefe Draeseke aber nicht interpretiert haben möchte: "Mit besonderen Ereignissen hängt die Tragica nicht zusammen, auch nicht damit, dass ich sie in den letzten 4 Monaten 1886, nachdem ich mir auf der Reise nach Schirgiswalde in Neustadt beim Stolpern den linken Arm gebrochen, zum Teil diesen Arm noch in der Binde tragend, niederschrieb." Wie schon erwähnt, übten Wagner und Liszt mit ihren Werken einen großen Einfluss auf Draeseke aus. Nun, nachdem er selbst drei Symphonien schrieb, war er es, der seinerseits Einfluss auf jüngere Komponisten ausübte. So empfing z.B. der junge Richard Strauss (1864-1949) Anregungen durch Draesekes Symphonien. Draesekes "Tragica" wurde am 13.Januar 1888 wiederum unter Ernst von Schuch uraufgeführt. In dieser Zeit erlebte Draeseke wohl die größten Erfolge seines Lebens, u.z. nicht nur durch die erfolgreichen Aufführungen seiner Symphonien, sondern auch anderer Werke wie z.B. der Symphonischen Vorspiele "Das Leben ein Traum" (Calderon) oder "Penthesilea" (Kleist). Mit 58 Jahren heiratete Felix Draeseke seine einstige Schülerin Frida Neuhaus. Seine dritte Symphonie wurde weiter aufgeführt, u.a. von Jean Louis Necodé, Max Pohle und Arthur Nikisch. Doch Draesekes imposantestes Werk sollte noch folgen, u.z. die Oratorien-Tetralogie "Christus", an der er von 1895 bis 1899 arbeitete. Dieses kraftvolle Werk erstreckt sich über fünf Stunden und verlangt sowohl den Aufführenden als auch dem Publikum alles ab. Weiterhin war Draeseke sehr produktiv. Es folgte Kammermusik (z.B. ein Streichquintett, op.77), eine Messe (op.85) und ein Requiem, die Oper "Merlin". Neben seinen Kompositionen veröffentlichte Draeseke aber auch theoretische Beiträge zur Musiktheorie wie z.B. "Der gebundene Styl", ein Lehrbuch für Kontrapunkt und Fuge. Überschattet wurden seine Erfolge hingegen von seiner voranschreitenden Taubheit. Seine dritte Symphonie stand weiterhin auf den Spielplänen, Hans Pfitzner kam u.a. als prominenter Dirigent dieses Werkes hinzu. Und auch das Oratorium "Christus" wurde aufgeführt. Hans Kittel leitete die Aufführung in Dresden. Ein Jahr vor seinem Tod, am 26.Februar 1913, vollendete Draeseke noch seine letzte, die vierte Symphonie. Sie trägt den Beinamen "comica" und wurde im August 1912 vollendet. Ihre Uraufführung erlebte Felix Draeseke leider nicht mehr. Nach seinem Tode setzte sich Arthur Nikisch weiter für Draesekes Werke, besonders für seine dritte Symphonie, ein. Allerdings konnte auch er nicht verhindern, daß Draesekes Werke weiter und weiter in den Hintergrund traten und schließlich fast ganz vergessen wurden. Zu viele neue Ereignisse, bestimmten das Tagesgeschehen, zu viele neue musikalische Entwicklungen taten sich auf, man denke nur an Komponisten wie Stravinsky ("Sacre du printemps" 1913) oder Schönberg. Erst zum Ende des 20. Jahrhunderts scheint die Zeit gekommen, sich auch wieder der Musik zu öffnen, die unter die Räder des sogenannten Fortschrittes gekommen ist. |
Letzte Änderung am 1. Mai 2004