Lebenslauf von Louis Moreau Gottschalk
Will man Gottschalks Musik verstehen, muss man sich auch mit seinem Leben beschäftigen, denn seine Musik stellt sich uns als ein Abbild seiner Persönlichkeit dar, die den unterschiedlichsten kulturellen Einflüssen unterlag. Gottschalk wurde 1829 in New Orleans, Louisiana, geboren. Hier trafen sich europäische (unter ihnen besonders französiche) Einflüsse mit karibisch-afrikanischen sowie spanisch-südamerikanischen Einflüssen. Es wurde Französisch, Spanisch und Englisch oder aber ein Gemisch aus diesen Sprachen gesprochen. Das kam u.a. daher, dass Louisiana zeitweise zu Frankreich, dann zu Spanien, dann wieder zu Frankreich gehörte, bevor es endlich Teil der USA wurde. In diesem Zusammenhang liest man oft von den "kreolischen" Einflüssen, ein Wort, das missverständlich ist, denn mit "Kreole" kann sowohl ein Nachkomme europäischer Kolonisten in Mittel- oder Südamerika als auch ein in Südamerika geborener Schwarzer gemeint sein. New Orleans war somit im doppelten Sinne kreolisch beeinflusst. Auch Gottschalks Familie kann man als "multikulturell" bezeichnen. Sein Vater stammte von spanischen Juden ab, wurde aber in London, England geboren. Die Mutter hatte französische Vorfahren (de Brusle), die zur Zeit der Sklavenaufstände auf Santo Domingo, wo ihr Grossvater Gouverneur war, nach New Orleans kamen. Eine Grossmutter und das schwarze Kindermädchen wurden dort in der Karibik - auf Santo Domingo - geboren. Zu Hause wurde meist Französisch gesprochen. Betrachtet man Gottschalks Werke, fällt einem auf, dass auch hier viele von ihnen französische Titel tragen. Louis Moreau (Moreau war sein Rufname) war das älteste von sieben Kindern. Schon früh wurde seine musikalische Begabung entdeckt und mit dreizehn wurde er nach Paris geschickt, um dort zu studieren. Er blieb elf Jahre in Europa, wo er gute wie auch schlechte Erfahrungen machte. Zu den guten Erfahrungen gehören sicherlich die Freundschaften, die er dort mit anderen Komponisten und Musikern schloss. Unter ihnen befanden sich Namen wie Georges Bizet oder Camille Saint-Saens. Aber er lernte auch Chopin, Offenbach, Berlioz und Meyerbeer kennen. Zu den schlechten Erfahrungen gehörte die Weigerung Pierre Zimmermanns (der damals Direktor des Pariser Conservatoriums war), Gottschalk den Eintritt ins Conservatorium zuzugestehen, u.z. aus dem Grunde, dass Zimmermann meinte zu wissen, dass Amerikaner zwar Lokomotiven bauen könnten, ansonsten aber Barbaren seien und deshalb keine Ahnung von Musik hätten. Damals hatten es also nicht nur Frauen [siehe: Louise Farrenc] am Pariser Conservatorium schwer, sondern auch Amerikaner. Es muss sieben Jahre später eine besondere Genugtuung für Gottschalk gewesen sein, in die Jury eben jenes Conservatoriums berufen worden zu sein. Dieser Jury gehörte er übrigens, eine Ironie des Schicksals, zusammen mit Pierre Zimmermann an. Eine der zu den Prüfungen gehörenden Kompositionen war darüber hinaus Gottschalks Stück "Bamboula". Weitere positive Erfahrungen machte Gottschalk in Spanien. Er lebte 18 Monate am spanischen Hof und wurde von Königin Isabella II. und Karl III. mehrfach ausgezeichnet. In Spanien komponierte er u.a. "El Sitio Zaragoza" (Die Belagerung von Saragossa) für 10 (!) Klaviere, welches leider nur als Fragment erhalten ist. 1853 kam Gottschalk, er war nun 24 Jahre alt, nach Amerika zurück, was aber nicht bedeutete, dass er nun ständig in New Orleans blieb. Er reiste durchs Land und gab Konzerte, denn er war gleichermaßen Pianist wie Komponist. Meist spielte er seine eigenen Werke, aber er war auch berühmt für seine Interpretationen von Kompositionen anderer Komponisten (z.B. Beethovens Klaviersonaten). Bei seinen Konzerten wurde er in Philadelphia als "König der Pianisten" gefeiert, wie Chopin es ihm zuvor in Europa vorausgesagt hatte. In New York trat er gemeinsam mit dem damals sehr geschätzten Sigismund Thalberg auf. Doch Gottschalks Reisen waren noch lange nicht beendet. Nur vier Jahre später, 1857, reiste er mit der Sopranistin Adelina Patti (und ihrem Vater, denn Adelina war damals erst 14 Jahre alt) in die Karibik, wo er drei Jahre bleiben sollte. Hier holte er sich wiederum Anregungen für seine Musik. Und auch die Instrumentierung (afro-kubanische Trommeln und karibische Blasinstrumente) mancher Werke blieb von dieser Reise nicht unbeeinflusst (z.B.: Symphony No.1 "La Nuit des Tropiques", 1859 auf Guadeloupe vollendet). Den Namen "La Nuit des Tropiques" hat Gottschalk sehr wahrscheinlich aus Félicien Davids (1810-1876) symphonischer Ode "Christophe Colomb" übernommen, in der der zweite Satz "Une nuit des tropiques" heißt. Es ist anzunehmen, dass Gottschalk dieses Werk bei seiner Premiere 1847 in Paris hörte. Während seines Aufenthaltes in der Karibik veranstaltete Gottschalk Konzerte und Festivals wann auch immer sich Gelegenheiten dazu boten. Um einen Eindruck zu bekommen, welchen Umfang diese Festivals oft annahmen, möchte ich Gottschalk selbst zitieren. Über ein am 17. Februar 1860 stattfindendes Festival schrieb er: "I had, as I say, the idea of giving a grand festival, and I made an arrangement with the director of the Italian opera company, then in posession of the Grand Tacon Theater. ... I set to work and composed, on some Spanish verses written for me by a Havanese poet, an opera in one act, entitled "Fete champetre cubaine" [der spanische Titel lautet "Escenas Campestres"]. Then I composed a "Triumphal Hymn" and a "Grand March". My orchestra consisted of 650 performers, 87 choristers, 15 solo singers, 50 drums, and 80 trumpets - that is to say, nearly 900 persons bellowing and blowing to see who could scream the loudest." 1862 kam Gottschalk wieder nach New York. In der Zwischenzeit war der Bürgerkrieg ausgebrochen - für Gottschalk bestand kein Zweifel für welche Seite er sich entschied. Er legte im U.S. Konsulat in Havanna einen Treueeid für die Union ab. Es schrieb sogar ein Stück, das den Titel "The Union" trägt, in dem er "The Star-Spangled Banner", den "Yankee Doodle" und "Hail Colombia" verarbeitet. Menschlichkeit und Humor sind zwei Charakterzüge, auf die man immer wieder trifft, wenn man sich mit Gottschalk beschäftigt. 1865 sollte in San Francisco Gottschalks Bearbeitung des "Tannhäuser-Marsches" für 14 Klaviere vorgetragen werden. Unglücklicherweise konnte Gottschalk nur auf 13 Pianisten zurückgreifen. Der Manager der Konzerthalle hatte jedoch einen Sohn, der angeblich ein sehr guter Pianist war - bei den Proben stellte sich aber heraus, dass er eher ein katastrophaler Pianist war. Was tun? Gottschalk hatte nun einmal 14 und nicht 13 Pianisten angekündigt. Und ausserdem wollte er den Manager nicht kränken. Er wies also den Klavierstimmer an, das 14. Klavier "auszunehmen", so dass das Instrument keine Töne mehr hervorbringen konnte und der geniale Sohn nun zwar auf den Tasten herumhämmern konnte, das Publikum aber keinen falschen Ton zu hören bekam (und 14 Pianisten zu sehen).Gottschalk tendierte also durchaus oft zu praktischen Lösungen. Das unterstreicht auch die Tatsache, dass er einmal komponiertes Material oft wiederverwertete. Und auch bei der Instrumentierung war er sehr flexibel. Für einige seiner Stücke gibt es die unterschiedlichsten Fassungen (z.B. die "Grand Tarantelle", für die es Fassungen für Violine und Piano, für Piano, Violine und Cello, für Piano und Streichquartett, für Piano und zwei Violinen, für Piano solo und für zwei Pianos gab - Hershy Kay rekonstruierte und orchestrierte darüber hinaus auch eine Fassung für Piano und Orchester). Viele Geschichten und Anekdoten ranken sich um L.M. Gottschalk, seine Konzerte oder seine Beliebtheit bei Frauen. Sicher ist, dass er ein Pionier war, wenn es darum ging, die verschiedensten Stilrichtungen in der Musik zu verarbeiten. Neben Stücken wie "The Union" (s.o.) findet man an Chopin erinnernde Werke wie "Berceuse", afrikanisch-karibische Stücke, die man als "brutal-nostalgisch" bezeichnen könnte ("El Cocoye" oder "Souvenir de la Havana") oder ein Werk wie "Banjo", das schon ein Vorläufer des Jazz zu sein scheint. |
Letzte Änderung am 1. Mai 2004