Lebenslauf von Friedrich Gulda

Bild von Friedrich Gulda Die erste Phase seines musikalischen Schaffens bis zu den 50er Jahren

"Genie ist, sich ein Leben lang auf das Eine zu konzentrieren."

Seine Ursprünge:

Ursprünglich stammt seine Familie aus der damaligen Tschechoslowakei, aus Eisenschütz in der Nähe von Brno (Brünn) und schrieb sich damals mit K. Sein Großvater war ein bescheidener Handwerker und zog später nach Wien. Friedrichs Vater, Friedrich Gulda sen. war Hauptschuldirektor und sehr liberal eingestellt. Durch seine sozialdemokratische Haltung durfte er während der Nazi-Zeit seinen Beruf nicht ausüben und wurde in den Krieg eingezogen, wobei er auch in russische Gefangenschaft kam. Sein Vater war ein sehr intellektueller und gebildeter Mensch, er vertrat durch seine politischen Tätigkeiten die sozialistische Lehre und übermittelte v.a. seinem Sohn Volksbildung und Humanität durch Bildung, welche Friedrich auf seinem Lebensweg mitgenommen hatte. Er war ein warmherziger Mann und auch ein sehr strebsamer Cellospieler. Obwohl er es nie zu musikalischem Ruhm geschafft hatte, hatte er den Respekt vor dem geistigen Inhalt der Musik nie verloren. Er hatte hohe musikalische Ambitionen, war Mitglied im Wiener Männergesangsverein, hat in einem Amateurstreichquartett Cello gespielt, aber es ist ihm alles ziemlich schwer gefallen. Seine Mutter Marie war auch sehr musikalisch und hatte noch mehr Talent als der Vater, v.a. als Klavierspielerin. Sie stammt aus kleinbürgerlichen Verhältnissen und begleitete ihren Sohn später auf viele seiner Tourneen.

Friedrich Gulda wurde am 16. Mai 1930 in Wien geboren. Ihm wurde schon früh vieles auf dem Gebiet der Musik beigebracht und die Liebe zur Musik vermittelt. "Ich habe das Talent der Mutter, dass einem das leicht fällt, in Kombination mit der Ernsthaftigkeit und der Liebe zu dieser Sache von meinem Vater." Er nahm schon früh Klavierunterricht bei einem Klavierprofessor namens Felix Pazofsky(1937-1942). Seine Schwester fing gleichzeitig mit Friedrich mit dem Klavierspielen an, aber man entzog sie schon nach einem Jahr dem Klavierunterricht, weil sie keine Fortschritte gemacht hatte, im Gegensatz zu ihrem Bruder. Mit 12 Jahren kam er auf die Staatsakademie für Musik und darstellende Kunst und mit 14 Jahren trat er zum ersten Mal öffentlich auf. Auf der Akademie bekam er Klavierunterricht bei Bruno Seidlhofer und lernte Theorie und Komposition bei Joseph Marx bis 1947. Für Friedrich war klar, dass er Musiker werden wollte und hatte sich Tag und Nacht mit nichts anderem beschäftigt. Dadurch war er ein schlechter Schüler am Gymnasium. Am Abend besuchte er die Oper oder ein Konzert, am nächsten Morgen ging er in die Klavierstunde oder übte und begleitete nebenbei auch in Sängerklassen der Akademie Opernarien. Dabei bekam er sehr viel Unterstützung von seinen Eltern. In der 6. Klasse brach er die Schule ab, um sich ganz der Musik zu widmen. Seine Mutter wollte zwar, dass ihr Sohn die Matura macht, aber dieser hat sich geweigert, und gemeint, er habe keine Zeit für so was und kann das auch selbst nachlernen, was er dann auch getan hat. 1945 herrschte in Wien große Hungersnot, woraufhin seine Mutter mit ihm und seiner Schwester aufs Land ging. Dort spielte er jeden Sonntag in der Kirche Orgel und betreute den lokalen Chor. Mit 16 Jahren kam er das erste Mal aus Österreich hinaus und nahm an einem internationalen Genfer Musikwettbewerb teil. Er belegte den 1. Platz und verdiente damit sein erstes Geld mit der Musik. Ein Jahr später machte er die Reifeprüfung auf der Akademie. Sein Lehrer übermittelte ihm einen sehr starren Begriff von der Ernsthaftigkeit und Wichtigkeit der Musik, dass man so spielen muss, als ob es in jedem Augenblick ums Leben ginge. Nach der Akademie unternahm er die ersten kleinen Tourneen, die 1949 mit der ersten Tournee nach Südamerika anschloss. Als er um die 20 war, stellte ihn Pierre Fournier ein, der ein weltberühmter Cellospieler war. Friedrich begleitete ihn 3 Jahre lang am Klavier, v.a. zu Werken von Beethoven, wobei 3 Platten herauskamen. Von Fournier lernte er vieles auf dem musikalischen Gebiet dazu, v.a. an Ernsthaftigkeit. [Sein Vater starb 1957mit 69 Jahren an Magenkrebs, als Friedrich gerade in Deutschland auf Tournee war. ] 1950 debütierte er in der Carnegie Hall in New York mit großem Erfolg. Inzwischen wuchs sein internationaler Ruhm als klassischer Pianist der Wiener Schule rasant an, sodass ihm alle Wege offen standen. Er konnte bis zu 365 Konzerte im Jahr geben, spielte häufig alle 32 Klaviersonaten von Ludwig van Beethoven, und hatte schon vieles erreicht, worum andere meistens das ganze Leben vergeblich kämpften. "Das Gefühl des klassischen Pianisten war völlig dominierend und es hat mir auch Spaß gemacht. Es machte mir Spaß, erfolgreich zu sein mit dieser Musik, die ich liebte und ungeheuer verehrte, und alle zu entzücken, zu bezaubern."

Der musikalische Wandel zum Jazz

"Jazz: Wo das Leben noch Lust, Leid und Risiko ist und nicht vom Staat geschützte Gleichförmigkeit und Langeweile."

Zunächst war Friedrich Gulda völlig mit seinem Erfolg als klassischer Pianist zufrieden. Er liebte die klassische Musik, und doch fragte er sich, was er eigentlich einmal im Leben erreichen wolle. Die erste Bekanntschaft mit einer ganz anderen Art von Musik, dem Jazz, machte er während seinem Aufenthalt in der Schweiz 1946. Er wohnte bei einer Familie, deren Söhne eingefleischte Jazzfans waren. Jeden Abend wurden dort Schellackplatten von Jazzmusikern wie Count Basie, Duke Ellington, Charlie Parker, Dizzy Gillespie, Dexter Gordon usw. gespielt. Anfangs war Friedrich nicht sehr angetan von dieser für ihn neuartigen Musik, er fand sie sogar teilweise abstoßend. Er konnte nicht verstehen, wie man so eine Musik hören konnte, doch irgendwann dachte er sich, dass diese Musik doch nicht so schlecht sein kann, wenn sie sich Tag und Nacht mit ihr befassen. Auf diese Weise machte er die ersten Schritte und versuchte, diese Art von Musik nachzuvollziehen, genau hinzuhören und die Vorurteile beiseite zu lassen. Nach einiger Zeit langem Hören und Sich-Vertraut-Machen mit dieser Musik, versuchte er das Gehörte am Klavier sehr unbeholfen umzusetzen. Die Familie gab ihm ein paar Schellackplatten mit, und nachdem er öfters während seiner Konzertreisen in die Schweiz zu der selben Familie kam, sammelte er schüchtern ein paar Jazzplatten zusammen. Mit der Zeit erwarb er sich ein gewisses Grundkenntnis und Verständnis dieser andersartigen Musik. Nach einiger Zeit wurde es schon zu einer Art Hobby, sich während der Konzertreisen in Jazzclubs herumzutreiben, anfangs nur als passiver Zuhörer, doch sehr bald spielte er schon aktiv in Jazz-Bands mit. Er hatte es anfangs sehr schwer, als berühmter Klassik-Musiker auch als Jazzmusiker anerkannt zu werden, da die Leute schon ein gewisses Niveau von ihm erwarteten. Nach diesen doch etwas harten Anfängen, überhaupt in die Jazzwelt aufgenommen zu werden, dauerte es länger bis die Leute ihm ernsthaft zugehört hatten. "Klavieristisch gesehen habe ich alles können, aber als Jazzmusiker war ich eine Null." Er verspürte aber den inneren Drang, sich zu bessern, dass die Leute wissen, er kann mehr als nur klassisch spielen. Deshalb verbesserte er seine Jazz-Kenntnisse nicht nur durch Hören, sondern vor allem durch das aktive Spielen und Verstehen lernen. Er besuchte des öfteren den Art-Club in Wien und kam später auch zu Fatty George, wo er mit anderen Jazz-Anfängern spaßhalber zusammenspielte. Er bewunderte die Offenheit und Freundlichkeit dieser Leute, die ihn zwar teilweise scharf kritisierten, aber ihm die Gelegenheit gaben, immer mehr Gefallen am Jazz-Spielen zu finden. Es gab in der Zeit keinerlei Verbindung zwischen der Jazzwelt und der klassischen Musik, viele Jazz-Musiker hatten noch nie etwas von Friedrich Gulda gehört. Aber durch die Praxis hatte er sich ein Grundkenntnis angeeignet, und konnte sich nach jahrelanger Übung konnte ebenfalls auf dem Gebiet des Jazz behaupten. Seinen ersten Jazz-Auftritt hatte er 1956 in New York im Birdland, wobei er seinen Meisterkurs im Mozarteum in Salzburg fallengelassen hatte. Unter einem Vorwand von Krankheit spielte er dort u.a. zwischen Charlie Parker und Dizzy Gillespie, war also anfangs neben diesen Giganten ein Niemand. Er war zwar noch nicht so weit, wie er es auf dem Gebiet der Klassik geschafft hatte, doch nach vier bis fünf Jahren, die er in den Jazz investiert hatte, konnte er sich und auch die anderen ihn als richtigen Jazzmusiker betrachten. Dies war für ihn ein großer Triumph, auch durch eine zweite Karriere großen Erfolg zu haben. Doch während er sich eingehend mit dem Jazz befasste, hatte die klassische Musik kein bisschen an Wichtigkeit verloren. Er führte sozusagen ein Doppelleben, er spielte z.B. an acht Abenden 32 Betthovensonaten und in der gleichen Woche sechsmal Saxophon (was er zusätzlich während seiner Jazztätigkeit gelernt hatte). Dies kostete sehr viel Zeit, sich für zwei Sachen gleichzeitig so stark einzusetzen. Nach einer Zeit, konnte er alle 32 Beethovensonaten auswendig, das ganze Wohltemperierte Klavier von Bach, vieles von Schubert, Chopin und Schumann und nebenbei noch ca. 300 Jazzstandarts. Doch das Motiv für seine steigende Interesse für den Jazz hatte nichts mit Unzufriedenheit als Klassik-Musiker zutun. Er meinte, diese Musik, hätte zu seinem "geistigen Selbstmord" geführt, wenn er nicht noch eine andere Richtung kennengelernt hätte. Er fand den Trost und die Rettung, die Antwort auf die musikalischen Fragen der Gegenwart im Jazzclub. Er bedauert seine Klassik-Kollegen, die meinen, Klassik müsse man als "Moderne Musik" bezeichnen, wie Strawinsky, Bartok, Schoenberg, Stockhausen, Boulez usw. Für ihn ist es geistiger Selbstmord, sich nur auf dieses Althergebrachte - das man keineswegs als klassische Musik bezeichnen kann - zu beschränken. Gulda meint, diese Leute leben in einem musikalischen Ghetto ,sie taten ihm leid, weil sie von der modernen Musik keine Ahnung hatten und sich nur nach Büchern und Überlieferungen der Musik vor 200 Jahren befassten. Der Konzertbetrieb schien ihm "hohl, unglaubwürdig, verlogen bis ins Mark". Einzig im Jazz sei Spontaneität und Freiheit zu erreichen. Für Friedrich Gulda ist Musik eine Lebensfrage. Er meint, man soll sich Fragen stellen über die Musik von heute, wie man kreativ sein kann, worin überhaupt der Sinn besteht, dass man Musiker ist. "Für mich ist die moderne Musik unserer Zeit in einem positiven und zufriedenstellenden Sinn, wo man als Musiker weiß, warum man sich überhaupt mit der Musik beschäftigt, also wozu man lebt, und das habe ich in der Musik unserer Zeit, nämlich im Jazzclub, gefunden." Friedrich meinte, er will gegen diesen übertriebenen Konservativismus ankämpfen, indem er diese Leute bei seinen Vorstellungen einfach rausschmiss. Er wendete sich immer mehr dem jugendlichen Publikum zu, die viel aufgeschlossener für Neues waren. Um zu diesem aufgeschlosseneren Publikum zu gelangen, ging er in Wien zu "Stimmen der Welt", einem Veranstalter, der Pop-und Rockkonzerte organisierte, und wollte dieses Publikum mit klassischer Musik ansprechen. Das Konzert mit Friedrich Gulda war ausverkauft und das Publikum bestand nur aus Leuten von einem Altersdurchschnitt von 22 Jahren. Er hatte großen Erfolg und die klassische Musik kam bei diesen Leuten, die nichts anderes außer Rockmusik kannten, sehr gut an. Als Jazzpianist hatte er u.a. Kontakte zu Chick Corea, Herbie Hancock, Keith Jarrett, MacCoy Tyner und Joe Zawinul. Er gründete 1960 das Eurojazz-Orchester und organisierte einige Veranstaltungen, wie das Internationale Musikforum in Ossiach und die Tage freier Musik auf Schloss Moosbach im Lungau. 1966 organisierte Gulda einen spektakulären Wettbewerb für Nachwuchsmusiker aus 24 Ländern und präsentierte in verschienen Besetzungen Alben wie "Music For Four Soloists And Band" oder "Donau so Blue", bei denen er Verbindungen zwischen klassischen Walzern und Blues herstellt. 1968 gewann er mit der Einspielung sämtlicher Beethovensonaten den Deutschen Schallplattenpreis und ein Jahr später wurde ihm der Beethovenring von der Wiener Musikakademie verliehen.

Guldas allmähliches Ende

Im Laufe der Jahre hatte er seinen musikalischen Horizont auf dem Gebiet des Jazz erweitert, sodass er in den 60er Jahren Kompositionen schrieb, die zwar ohne die Basis und das Können der Jazz-Musik nicht denkbar gewesen wären, aber nicht mehr als Jazzmusik zu bezeichnen waren, und er eine weitere Grenze überschritten hatte. Gulda hatte weder etwas gegen die Klassik-Puristen, noch gegen die Jazz-Puristen, doch er hasste es, wenn jemand sich nur auf eine Richtung beschränkte, statt dass er nicht die Möglichkeiten der Musik kennenlernen wollte. Daher hatte er genauso wie früher bei den Klassik-Puristen auch bei den Jazzern viel Kritik ertragen müssen wegen seiner Grenzenüberschreitungen. Das hielt ihn aber nicht davon ab, weiterzumachen und nicht in einer Richtung zu verharren. Seine erste Ehe ging er mit der Schauspielerin Paola Loew in den 50er Jahren ein, mit der er 2 Kinder auf die Welt brachte, Paul (geb. 1961) und David. Die beiden Kinder wurden schon sehr früh musikalisch gefördert. Doch David fehlte entweder das Talent oder er fiel in eine Antireaktion, jedenfalls blieb er nicht bei der Musik. Anders als bei Paul, der auch heute noch Erfolge als Pianist macht. Sein dritter Sohn Rico geht aus der Ehe mit Yuko hervor, jener machte auch Karriere als Pianist. Friedrichs Beziehungen zu Frauen waren aber nie von langer Dauer, er gab immer wieder bekannt, dass seine "einzige Liebe der Musik" galt. Friedrich Gulda unterrichtete zwar einige Schüler, aber er sagte selbst von sich, kein guter Lehrer gewesen zu sein, wie auch bei seinen Söhnen. Er habe zu wenig Geduld und außerdem hasse er schlechte Musik, gab er in einem Interview zu. Nur eine Schülerin konnte es mit dem großen Meister aufnehmen, und zwar das 13jährige Klaviertalent Martha Argerich. Er bezeichnete sie als Wunderkind, und war ihm durchaus als Klavierspielerin ebenbürtig. In den 70er Jahren lernte er Paul und Limpe Fuchs kennen, deren Gruppe Anima er beitrat, wie auch der Gruppe Weather Report (u.a. mit Joe Zawinul). Er brachte sich selbst nach seinem Nebeninstrument, dem Saxophon, das Clavichord bei. Er war fasziniert von dessen Mechanik und trat auch schon bald damit auf, wobei er aber die Schwierigkeit dieses Instruments unterschätzte. Aber nach geraumer Zeit beherrschte er auch dieses einwandfrei. Ende der 60er Jahre wurde auch der Einfluss der Rockmusik(u.a. durch die Beatles, Santana, Pink Floyd und Emerson Lake & Palmer) in seinen Kompositionen deutlich, wobei sie aber nie das "Jazzige" verloren hatten. In den 80ern spielte er mit Chick Corea bei einem Jazz Festival in Zeltweg am Österreichring. In einem Interview meinte er, er habe von Corea viel über Jazz gelernt, und er viel von ihm über Mozart. Außerdem trat er in Sessions mit Herbie Hancock auf und mischte unbekümmert Jazz mit Mozart. Seine letzte Beziehung hatte er mit der Sängerin und Percussionistin Ursula Anders, mit der er öfters im Konzert spielte und für sie "Concerto for Ursula" komponierte. Er schockierte das Publikum des öfteren, als er mit ihr nackt auf die Bühne ging. In den 90ern trat er sowohl als klassischer Interpret als auch bei Veranstaltungen wie der "Mozart-Disco" auf. In dieser Zeit pendelte er zwischen E- und U-Musik, Mozart, Boogie, Mondscheinsonate und Swing. Am Ende seiner musikalischen Laufbahn wurde er stark von einer völlig anderen Musikrichtung während seinen Aufenthalten in Ibiza beeinflusst: dem Techno und Rave, wobei er in seinem letzten Album, "Summerdance" mit Dj Pippi Techno und Klassik vermischte. In den 90ern sagte er in einem Interview: "Jetzt, wo ich mein Leben zum größten Teil überblicke, muss ich sagen, dass gerade die Öffnung in Richtung Jazzmusik oder Richtung schwarzer Musik, die wichtigste Lebensleistung von mir ist und bleibt. Ich glaube es ist sinnvoll - wenn sich mein Leben dem Ende zuneigt -, wenn ich dorthin zurückkehre, aber ohne, dass das als Rückschritt erscheint, sondern als eine gewaltige Zusammenfassung." Im Jänner 1999 ordnete Gulda in einem "offenen Brief" anlässlich einer bevorstehenden Operation an, dass "Nachrufe zu meinem Ableben zu unterbleiben" hätten. Erscheinen dürfte nur die "nüchterne Tatsachenmeldung". Als Grund für seine Entscheidung gab Gulda an, er wünsche nicht, dass ihm der "Schmutz", mit dem er von Journalisten ein Leben lang beworfen worden wäre, "auch noch ins Grab nachgeschmissen" werde. Am 28. März wurde der Tod Friedrich Guldas verkündet, der sich aber später als Schwindel herausstellte. Es stellte sich auch heraus, dass dieser"getürkte Tod" von ihm selbst veranlasst wurde, nachdem er mit der Go-Go-Truppe "Paradise Girls" ein wenig später seine "Wiederauferstehungsparty" in Salzburg feierte.

Zu Guldas 70. Geburtstag war für den 15. Mai ein Konzert mit den Wiener Philharmonikern im Wiener Konzerthaus geplant, bei dem der Pianist Werke seines musikalischen Gottes Mozart spielen sollte. Doch zu dem kam er nicht mehr, er starb am 27. 1. 2000 - dem Geburtstag von W.A. Mozart - an Herzinfarkt in Oberösterreich am Attersee. Noch im November 1999 gab Gulda einen Soloabend im Wiener Musikverein, bei dem er mit "Waum i amol stirb" auch den eigenen Tod besang.

Ein aufmüpfiges und grenzüberschreitendes Genie

4 Gründe, warum Friedrich Guldas Leben ein Skandal ist:
  1. Der erste und wohl wichtigste Lebensskandal von Friedrich Gulda war, dass er überhaupt begonnen hat, Jazz zu spielen. Noch nie hat ein Klavierspieler klassischer Statur, der es so weit gebracht hat, etwas derartig Grenzenüberschreitendes unternommen. Noch nie hat einer gesagt, es gibt noch etwas viel Schöneres und Besseres als die klassische Musik. Es gibt zwar einige Pianisten, die es gewagt haben, beides zu tun, z.B. auch sein Sohn Paul Gulda, aber niemand in dieser Radikalität. Dies hatte zur Folge, dass das ganze System in Frage gestellt wurde. Auf dem klassischen Sektor muss man am meisten studieren und man verdient am meisten Geld mit der klassischen Musik, und dann kommt einer, der sagt, es gibt noch andere Sachen, die sind mindestens genauso wichtig und womöglich auch schwerer. Aufgrund dieser Ansicht hat ihn auch die Plattenfirma vor ein Ultimatum gestellt: Entweder er bleibt bei der klassischen Musik, oder sie wollen ihn nicht mehr unterstützen. Daraufhin hat er die Plattenfirma DECCA verlassen und 20 Jahre später zu der Jazzfirma MCA gewechselt, als er angefangen hat, "Freie Musik" zu spielen.
  2. Die Musikuniversität Wien verlieh ihm 1969 einen Ring zum 200. Geburtstag von Beethoven. Gulda ging zu der Verleihung hin und hat zunächst nicht erkennen lassen, was er vorhatte. Er nahm den Ring an und hielt danach eine Rede im Musikvereinssaal vor Direktoren, Professoren und Studenten. Zusammenfassend sagte er, er wäre froh, den Ring bekommen zu haben, obwohl er der Ansicht war, dass er ihn aus den falschen Gründen bekommen hatte. Das, was er geworden ist, wurde er nicht durch die Akademie und die Wettbewerbe, sondern trotz dieser. Außerdem sei so ein konservatives Institut wie die Wiener Staatsakademie nicht dazu berechtigt, einen Ring zu verleihen, der den Namen des größten Revolutionären der Musikgeschichte trägt.
  3. Ein Charakterzug von ihm war, dass er immer ein bisschen listig sein wollte, weil er sich vom Establishment immer verarscht gefühlt hatte. Deshalb war auch seine Devise "Verarscht die Verarscher!" Er hat es genossen, wenn er des öfteren zu seinen geplanten Auftritten einfach nicht gekommen ist, oder ein anderes Programm spielte als vorgesehen war. Doch meistens hat er sich geweigert, irgendein Programm vorzugeben, weil er sich nicht in etwas zwängen wollte. Er ließ sich immer auf das Publikum ein und entschied dann, was er spielen wollte. Er wollte immer in Wechselwirkung mit dem Publikum stehen, wobei ein Zitat von ihm ganz passend ist: "Erfolg stellt sich von selbst ein, wenn man dem Publikum mit der richtigen Einstellung gegenübertritt." Er hat z.B. bei einem Auftritt in Kärnten Bach am Clavichord angekündigt, aber dann vor allen Bach-Fans zwei Stunden lang frei improvisiert. Alle Bach-Freunde verließen protestierend die Szene, nur ein paar, die das gut fanden, blieben. Nachdem sie gegangen waren, hat er angefangen, Bach zu spielen. Er selbst nennt dies eine "erzieherische Maßnahme", indem er dem Publikum mitteilt, dass sie sich im Konzert anständig zu benehmen haben und dass man Managern beibringt, sie sollen nicht unangekündigte Sachen arrangieren. Seiner Ansicht nach hatte er immer einen plausiblen Grund für seine Ausfälle und Planänderungen der Konzerte und waren damit gerechtfertigt.
  4. Bei den Salzburger Festspielen Mitte der 80er Jahre verbat Herbert von Karajan, dass Nicolaus Harnoncourt bei den Festspielen dirigiert. Das fand Friedrich Gulda unerhört, sodass er beschloss, sie hineinzulegen. Er ließ sich von ihnen engagieren, bei den Festspielen dreimal zu spielen, plante aber stattdessen ein Konzert am Domplatz mit Harnoncourt. So waren sie sozusagen verpflichtet, klein beizugeben und ließen den Harnoncourt dirigieren. Doch Gulda spielte trotzdem am Domplatz mit Harnoncourt, um den "machttrunkenen Deppen" die Grenzen ihrer Macht deutlich machen und auch dem Herrn Karajan zu zeigen, dass er ihm weder etwas zu verbieten noch zu erlauben hat.
Seine Charaktereigenschaften:
  • Willensstark bis zur Sturheit. Es hat ihn tief getroffen, wenn er nicht die Anerkennung bekommen hat, die er sich gewünscht hat
  • Freiheitsliebend und Wunsch, unabhängig zu sein, verbunden mit großer innerer Strenge, was ihm manchmal auch selbst zu schaffen gemacht hat.
  • Impulsiv (Er schreckte nicht davor zurück, seine Meinung um 180° zu ändern - zwar nicht von heute auf morgen, aber im Abstand von ein paar Jahren. Er war nicht einer der gemeint hat, man muss nach 10 Jahren noch immer gleich denken)
  • Lustig und charmant nach außen und auf der Bühne. Doch auf der anderen Seite verstand er oft keinen Spaß, was manchmal auch bis zur Strenge reichte.
  • Phantasievoll und kreativ. Er hatte viel Mut, Dinge zu machen, die vorher noch keiner gemacht hat, v.a. sie sehr rasch zu tun wie z.B. beim Clavichord, mit dem schon nach kurzer Zeit auf die Bühne ging.
  • Direkt. Er scheute nicht davor, den anderen die Meinung zu sagen, egal vor wem, hat er sich nie davor gefürchtet, manchmal radikal zu kontern.
  • Leidenschaftlich, natürlich v.a. was die Musik betrifft. Er spielte Musik nach seinen inneren Emotionen und Gefühlen. Auch im normalen Leben machte er alles mit 100%iger Überzeugung.


Seine Werke und sein Kompositionsstil

"Musik ist wie ein großer Baum, der verschiedene Äste hat, die aber alle aus dem gleichen Stamm herauswachsen."

Friedrich Gulda kann man nicht einem bestimmten Musikstil zuordnen, er wollte sich nie in eine Spate hineinzwängen lassen. Seine Stile reichen von der Klassik über den Jazz bis zu Rock und Techno. Doch bei seinen "musikalischen Wandlungen" hatte er nie eine Richtung ganz aufgegeben. Auch als er sich dem Jazz zuwandte, ließ er von der klassischen Richtung wenig einbüßen. In der klassischen Klaviermusik, war er der Meinung, dass Mozart der größte Musiker ist, der je gelebt hat, und es sehr schwierig ist, seine Stücke zu interpretieren, obwohl sie von mittlerem bis leichtem Schwierigkeitsgrad sind. Er war sich selbst und vor allem anderen Mozartinterpreten gegenüber sehr kritisch, und meinte, "den kann man nicht einfach so runterspielen". In seiner Kindheit sagte er öfters: "Zuerst möchte ich Beethoven spielen lernen, dann Bach und zum Schluss den Meister aller Meister Mozart." Gulda gilt auch nicht grundlos als einer der besten Interpret von Beethoven, Mozart und Bach. Klassische Pianisten hatte er nicht viele als Vorbild, außer Alfred Cortot erwähnte er des öfteren mit positiven Kritiken und ist ihm sogar nachgereist. Cortot war ein französisch-schweizerischer Pianist, der in Paris gelebt hatte. Er war ein sehr guter Lehrer und spielte in Konzerten so wie es ihm eingefallen war. Er spielte nicht klischeehaft, was Friedrich Gulda sehr imponiert hatte. Auf dem Jazz-Sektor hatte er natürlich mehrere Vorbilder, v.a. am Anfang seiner Jazz-Zeit. Am meisten erwähnte er den Trompeter Miles Davis, aber er lernte auch viel von Chick Corea, Joe Zawinul, Herbie Hancock usw. Am ehesten kann man ihn noch der "Freien Musik" zuordnen, in derer die Regellosigkeit als Prinzip gilt. Die einzige Regel ist, keinerlei Regeln anzuerkennen. Deshalb hat ihn das aufgrund seiner Jazzerfahrung sehr fasziniert, total frei improvisieren zu können. Freie Musik ist etwas nicht Komponiertes, also nichts, was man in Noten festhalten kann, sie weist keinerlei Rhythmus, Harmonie, Melodie oder Form auf. Er meint, die Übermittlung von Freier Musik sei auf dem Medium der Schallplatte oder dem Tonband nur als Anregung für die Leute zulässig und man kann sie daher nicht im gleichen Stil nachspielen. Die Botschaft der Freien Musik ist, nicht in einen Laden gehen und sich Schallplatten zu kaufen, sondern selbst Musik zu machen, und steht im Gegensatz zu der heutigen konsumorientierten und kommerzialisierten Welt. Doch durch die Hinwendung zur Freien Musik gab es große finanzielle Einbußen bei Friedrich Gulda und auch seine klassische Tätigkeit hatte sich eingeschränkt. Am Ende seiner Lebenslaufbahn hatte sich auch sein Klavierspielen drastisch verringert, weil er der Meinung war, für diese Art von Musik sei das Klavier nicht sehr geeignet. Später verstärkte auch Gulda seine Jazzmusik-Tätigkeit mit Singen. Unter dem Pseudonym Albert Golowin sang er von Liebe, Tod und Alleinsein im Wiener Dialekt. Gulda besaß eine Technik wie sonst niemand, er brauchte sich beim Spielen nicht aufs Spielen zu konzentrieren. Er konnte es sich leisten, sich beim Spielen selbst zuzuhören. Er war sein bestes Publikum, sein eigener größter Fan, aber auch sein eigener strengster Kritiker.



© Sarah Meixner

Quellenverzeichnis:

Literatur:

Friedrich Gulda - Aus Gesprächen mit Kurt Hofmann
Friedrich Gulda - Worte zur Musik

Internet:

http://www.opus4.de/kunst/gulda.html
http://www.dervas.de/gulda.gtm
http://www.komponisten.at/cd_buecher/gulda_cd1.htm
Letzte Änderung am 1. Mai 2004