Lebenslauf von Paul Lincke

Bild von Paul Lincke Den Berlinern muss man Recht geben, wenn sie behaupten, dass Paul Lincke für ihre Stadt die gleiche Bedeutung hat, wie Johann Strauß für Wien. Schließlich wurde Paul in Berlin in der Nähe der Jungfernbrücke geboren und zeugte mit Frau Luna den ersten Sprössling der „Berliner Operette“. Unverständlich agiert dagegen der Lincke-Enthusiast, wenn er den Erfolgreichen mit Jacques Offenbach und Arthur Sullivan in einem Atemzug nennt. Ein bisschen Mondexotismus, dazu noch mit Berliner Luft verdünnt, erklärt einen übertriebenem Enthusiasmus nicht.

Im Oberharz, und nicht in Berlin, pflegen seine Fans auf dem Friedhof von Hahnenklee das Grab ihres Idols. In der Weltabgeschiedenheit grüner Tannen möchte man vom Ruhm des Schöpfers vieler eingängiger Melodien zehren. Die Stadtväter beauftragten eine Goldschmiede den Paul-Lincke-Ring zu produzieren; ein Exemplar gelangt alle zwei Jahre zur Verteilung: 1955 bekam ihn Friedrich Schröder, 1957 Gerhard Winckler und mit voller Berechtigung 1969 Nico Dostal. Sieht man einmal von René Kollo ab, fehlen in jüngerer Zeit geeignete Anwärter. Udo Jürgens, Peter Maffay, Freddy Quinn und Udo Lindenberg freuen sich, den Verleihern aus der Verlegenheit geholfen haben.

Der Zweck solcher Betrachtung soll nun nicht darauf abzielen, die Verdienste des Berliners zu schmälern, denn der Erfolg seiner Bühnenwerke und seiner flotten Operettenlieder auch außerhalb der nationalen Grenzen ist nicht zu bestreiten. Wenn man bedenkt, dass die Pariser Rotlichtszene ihn für zwei Jahre als Kapellmeister in das Varieté „Folies Bergères“ lockte, konnte man zur damaligen Zeit durchaus auf eine internationale Resonanz schließen. Von einer Veredelung Berliner Deftigkeit durch französischen Charme ist in den Kompositionen Linckes allerdings wenig zu spüren. Die Deutsche Bundespost bestätigte seine Popularität und gab zwei ansprechende Briefmarken zu seinem Gedächtnis heraus. Paul Lincke war das musikalische Aushängeschild des Dritten Reichs, was es dem Künstler nach Kriegsende unmöglich machte, in seinem geliebten Berlin wieder Fuß zu fassen.

Wer war Paul Lincke nun wirklich? Der Vater hat ihm in musikalischer Hinsicht nichts geben können, denn August Lincke, ein Verwaltungsbeamter, starb bereits, als Paul fünf Jahre alt war. Die Familie lebte in ärmlichen Verhältnissen, denn seine Frau Emilie musste nun allein drei Kinder durchbringen. Im fleißigen Bearbeiten seiner Trommel gab der Knirps seine Neigung zur Militärmusik zu erkennen. Doch er wechselte die Richtung, als er nach Abschluss der Realschule bei der Wittenberger Stadtmusikkapelle sein vorläufiges Tätigkeitsfeld fand und als Instrument seines Ausdruckswillens das Fagott bevorzugte. Hans Kleinow war sein Lehrer und machte ihn zusätzlich mit Violine und Klavier, Tenorhorn und Schlagzeug vertraut. Verschiedene Boulevard-Theater boten ihm Gelegenheit, sein Holzblasinstrument vorzuführen. Er verliebte sich zu jener Zeit in die Soubrette Anna und heiratete sie. Unter dem Namen Anna Müller-Lincke ging sie später zum Film.

Die vielen Theater, in denen Paul auftrat, füllen eine ganze Liste: Nach dem Central-Theater und dem Ostend-Theater sammelte er Erfahrungen am Königstädtischen Theater, dem Belle-Aliance-Theater und dem Parodie-Theater. Im Berlin der damaligen Zeit war man sehr theaterfreudig. „Venus auf Erden“, mehr Revue als Operette, war Linckes erster Einakter, der 1897 entstand und im berühmten Apollo-Theater seine Uraufführung erlebte.

Ein Abstecher nach Paris führte ihn 1899 wieder zurück nach Berlin. Nun begann die Zeit seiner großen Triumphe, die er mit seinem Freund und Librettisten Heinrich (Heinz) Bolten-Baeckers teilte. Nach dem Ausflug zum Mond, wo Frau Luna auf ihn lauerte, begab er sich ins Reich des Indra, um anschließend für Lysistrata sein Glühwürmchen schimmern zu lassen.

Die junge Schauspielerin Ellen Sousa vom Friedrich-Wilhelmstädtischen Theater faszinierte Paul so sehr, dass er ihr jeden Wunsch erfüllte. Sie schwatzte ihm das Zugeständnis ab, im Apollo-Theater die „Frau Luna“ singen zu dürfen. Der Erfolg zeigte sich auf ihrer Seite, das Publikum stand begeistert hinter ihr und die Medien hatten gegen sie nichts einzuwenden. Folglich nahm er den Glückspilz in seine Wohnung auf und aus Dankbarkeit schenkte Ellen ihm bald ein Söhnchen. Das Glück hielt nicht lange vor und man muss die Argumente beider Partner abwägen, um zu einer korrekten Beurteilung zu kommen. Paul verlangte, dass die Partnerin in aller Stille ihr Mutterglück zu Hause genießen soll, während er Lorbeeren einsammelte. Doch Ellen war ebenfalls eine Sammlernatur; der Sinn stand ihr nach „Frau Luna“ und auch die anderen weiblichen Hauptrollen in den erfolgreichen Operetten des Mannes ihrer Wahl mochte sie gern singen. Lincke versprach der Widerspenstigen, sie zur Frau Gemahlin zu machen, wenn sie der Bühnenlaufbahn entsagte. Er drohte damit, sie aus der Wohnung zu werfen, wenn sie nicht nachgab. Zehn Tage Bedenkzeit verstrichen und als Paul von einer Gastspielreise zurückkam, fand er die Wohnung leer. Ellen heiratete einen Kaufmann, der Linckes Söhnchen ohne ihn zu fragen adoptierte und sie folgte ihm nach Dresden. Lincke saß nun allein zu Hause und komponierte den Walzer „Verschmähte Liebe.“

Die häusliche Niederlage war bald verschmerzt. Der Balsam kam aus Paris, die Erfolgssträhne der Aufführung seiner Werke riss nicht ab. Auch in Berlin wehte ein frisches Lüftchen. Der Direktor des Apollo-Theaters beorderte ihn 1908 als Kapellmeister ans Metropol-Theater, in dem ausstattungsmäßig und tänzerisch die herrlichsten Revuen liefen.

Die Zeit stagnierte, doch der Ruhm hielt an. Paul Lincke wurde an seinem 75. Geburtstag zum Ehrenbürger von Berlin ernannte und erhielt die Silberne Ehrenplakette. Der Krieg kam ins Land und forderte seinen Tribut. Während Paul jenseits der Grenzen in Marienbad „Frau Luna“ dirigierte, legten feindliche Bomber seine Wohnung und seinen kleinen Verlag in Schutt und Asche. Wertvolles Notenmaterial verbrannte.

Die Gesundheit verschlechterte sich und der Angeschlagene suchte nach Luftveränderung im Oberharz. Kurz vor seinem 80. Geburtstag sagte er seiner irdischen Laufbahn Lebewohl. Auf dem Friedhof der wunderschönen norwegischen Stabkirche von Hahnenklee wurde er zur ewigen Ruhe gebettet.



Engelbert Hellen
Letzte Änderung am 21. August 2009