Lebenslauf von Ursula Mamlok

Bild von Ursula Mamlok Ursula Mamlok wurde am 1. Februar 1923 (und nicht 1928, wie in vielen Biografien angegeben,) in Berlin geboren. 1925 verlor sie ihren Vater Hans Mayer und lebte zunächst bei ihren Großeltern. Nach der Wiederverheiratung ihrer Mutter 1929 mit Hans Lewy wurde aus Ursula Mayer - Ursula Lewy. Durch das Klavierspiel ihres Onkels angeregt, fing sie schon als 3-jährige an Kinderlieder mit beiden Händen auf dem Klavier nachzuspielen. Instinktiv fand sie die richtigen Töne und wurde von nun an den bewundernden Verwandten zur Unterhaltung präsentiert. Erst mit neun Jahren erhielt sie regelmäßigen Klavierunterricht. Mittlerweile suchte sie sich schon ihre eigenen Melodien, die ihre damalige Klavierlehrerin aufschrieb, weil die junge Schülerin noch keine perfekten Notenkenntnisse besaß.

Ab dem Jahr 1929 ging sie in der Pestalozzistraße in die damalige Volksschule, 1933 wechselte sie von dieser zur Fürstin Bismarckschule. Jüdische Kinder wurden in diese Schule nur aufgenommen, wenn der Vater im 1. Weltkrieg Frontkämpfer war und das Eiserne Kreuz vorweisen konnte. Da dies bei Ursulas Vater der Fall war, konnte sie das oben genannte Gymnasium besuchen. Karl August Neumann, ein bekannter Bariton an der Staatsoper Berlin, der mit einer Cousine ihres Vaters verheiratet war, hörte ihre ersten kleinen Klavierstücke und empfahl, Ursula zu Adolph Daus in den Unterricht zu geben. Leider wanderte dieser kurze Zeit später nach Palästina aus, so dass ein neuer Lehrer gesucht werden musste. Karl August Neumann kümmerte sich auch dieses Mal wieder um Ursulas weitere musikalische Entwicklung und ließ sie ein eigenes romantisches Gedicht vertonen, das er seinem Freund, dem Pianisten Gustav Ernest, zeigte.

"Dieser wunderbare und bekannte Dozent an der Humboldthochschule war damals schon 80 Jahre alt. Ich ging also mit meiner Mutter zu diesem unvergesslichen Menschen und sollte mein Klavierspielen produzieren. Nach einigen Takten der Haydn C-Dur Sonate schüttelte Herr Ernest besorgt den Kopf. Ich war inzwischen 12 Jahre und lernte, dass für eine pianistische Laufbahn mein Spielen viel fortgeschrittener sein müsste. Meine Kompositionen gefielen ihm schon, aber erst sollte ich mal Harmonielehre und Kontrapunkt studieren. Nachdem mir vor diesen Aussichten vor Angst die Knie schlotterten, war Herr Ernest doch gewillt, es mit mir zu versuchen." (Zitat U. Mamlok)

Zweimal wöchentlich fand der Unterricht statt und Ursula beschäftigte sich ausschließlich mit Musik. Die politische Lage verschärfte sich zusehends, sie musste das Gymnasium verlassen und in eine Berufsschule gehen. "Dort lernte man Betten machen, Bügeln und Strümpfe stopfen." (Zitat U. Mamlok) Auch in dieser Schule konnte sie nicht lange bleiben. "Für mich war der Ausschluss aus der Schule ein Glück, nun konnte ich den ganzen Tag üben." (Zitat U. Mamlok)

Trotz Ausgehverbot und verschärfter Kontrollen gelang es der jungen Komponistin mit Freundinnen Konzerte und die Oper zu besuchen, um ihren musikalischen Horizont zu erweitern. Durch Zufall lernte ihre Mutter in dieser Zeit, bei einer Fahrt nach Prag, im Zug den amerikanischen Professor und Dirigenten Dr. Simmons kennen, der Ferien in Europa machte. Dieser versprach, falls die Familie nach New York käme, ihnen dort weiter zu helfen und empfahl, Ursula noch ein weiteres Instrument, die Klarinette, lernen zu lassen. Die Mutter kaufte eine gebrauchte Klarinette und Ursula nahm an der jüdischen Musikschule Holländer Unterricht. Die politische Lage verschlimmerte sich so sehr, dass die Familie nun auch ans Auswandern dachte. Der Vater hatte einen Vetter in Guayaquil/Equador, der Geld hinterlegte, so dass die Familie dorthin auswandern konnte. Die Großeltern konnten nicht mitgehen. Sie wurden bald danach in Auschwitz umgebracht.

Im März 1939 kam die dreiköpfige Familie in Equador an. Zunächst übte und komponierte Ursula ohne Anleitung. Sie spielte Chopins b-Moll Sonate, Brahms’ g-Moll Rhapsodie und Mendelssohns Rondo capriccioso. Der Stil ihrer Kompositionen passte sich der Musik des 18. und 19. Jahrhunderts an. Sie komponierte Sonaten, Fugen und Lieder, die sie zunächst noch zu ihrem früheren Lehrer, der nun in Holland lebte, zur Begutachtung sandte. Moderne Komponisten waren ihr nicht bekannt. Das Leben in Equador, die Hitze, der Regen, die Insekten, die primitive Unterkunft – alles das hatte mit dem früheren Leben in Berlin nichts zu tun und war ganz anderes und anstrengender. 1940 wendete sich ihre Mutter, auf Drängen von Ursula, an Dr. Simmons zwecks Ausreise in die USA. Er nannte drei Ausbildungsstätten für Musik in New York - die Juilliard School, die Manhattan School und die Mannes School-, konnte aber über Einwanderungsmöglichkeiten keine weiteren Auskünfte geben. Nach Einsicht in ihre Kompositionen erklärte sich die Mannes School bereit, Ursula als Schülerin aufzunehmen. Jetzt blieb noch das Problem mit der Ausreisegenehmigung. Ein glücklicher Zufall ermöglichte es ihr, die Quotennummer zur Ausreise von einer erkrankten Frau zu übernehmen und somit konnte sie Equador verlassen. Die Eltern mussten zunächst noch dort bleiben.

Mit 17 Jahren, nur deutsch und spanisch sprechend, reiste Ursula alleine nach New York. Am 30. August 1940 kam sie dort an und wurde von einem Onkel und seinen Kindern in Empfang genommen. An der Mannes School wurde sie Schülerin von Georg Szell. "Obwohl Szell deutsch sprach, sprach er nur englisch mit mir." (Zitat U. Mamlok)

Bei Szell musste sie Bach-Choräle harmonisieren. Die erste Komposition war dann ein Streichquartett in A-Dur. Szell war ein sehr konservativer Musiker. Das Modernste in seinem Repertoire war der frühe Strawinsky, und damals neu, die 1. Sinfonie von Schostakowich. Der Name Schönberg wurde nicht genannt. "Meine Arbeiten durften keine ‚falschen Noten’ enthalten. Parallele Quinten versetzten Szell in Wutzustände und er schrie: Schweinerei!" (Zitat U. Mamlok)

Dr. Simmons sorgte sich, weil sie alleine in New York lebte, und schickte sie zu einer Familie, mit deren Hilfe sie ein Jahr später auch ihre Eltern in die USA holen konnte. Die Direktorin der Mannes School, Clara Mannes, fand zwei anonyme Geldgeberinnen, die jeden Monat 40 Dollar für die junge Komponistin spendeten. Im Klavierunterricht studierte sie Stücke, die sie nicht sonderlich inspirierten. "Ich musste die Beethoven Sonate op. 22 spielen, mir wäre aber die Appassionata lieber gewesen." (Zitat U. Mamlok)

Die Unterrichtsstunden bei Szell wurden immer unregelmäßiger, da dieser als Dirigent immer gefragter wurde. Sie besuchte die Mannes School bis 1944. Im Sommer 1944 bekam sie ein Stipendium am Black Mountains College der Universität in North Carolina. Dort fand zu Ehren von Schönberg, der 70 Jahre alt wurde, ein dreimonatiges Fest statt, bei dem viele von den Nazis vertriebene Künstler anwesend waren: Eduard Steuermann, Ernst Krenek, Roger Sessions, das Kolisch Quartett u.v.m. "Täglich wurde das Steichquartett op.7 von Schönberg geprobt und mir wurde klar, dass ich meinen Horizont sehr erweitern musste, um mit den Komponisten des 20. Jahrhunderts bewandert zu sein." (Zitat U. Mamlok)

Zurück in New York studierte Ursula nun Komposition bei Roger Sessions und Klavier bei Steuermann. Durch zahlreiche Konzertbesuche wurde sie immer vertrauter mit der Musik von Babbitt, Wolpe, Shapey, Webern u.s.w. "Durch meine bisherige, einseitige musikalische Erziehung war meine Bekanntschaft mit atonaler Musik nicht leicht, aber ich versuchte mich von dem von nun an Gehörten beeinflussen zu lassen." (Zitat U. Mamlok)

Der erste Kompositionversuch in diese Richtung war 1945 ein Bläserquintett, wobei ihr Stil an Hindemith und Bartok orientiert war. Mittlerweile lebte sie mit ihren Eltern in einer kleinen Wohnung in New York. Geld verdiente sie sich durch Klavierunterricht und als Begleiterin in einer Tanzschule. Die Sommerferien 1947 verbrachte sie in San Francisco, wo sie ihren späteren Mann, Dwight Mamlok, kennenlernte. Dieser war über Schweden als Dieter Mamlok in die USA gekommen und arbeitete mittlerweile bei seinem Vater im Exportgeschäft. "Wir bemerkten sofort gleiche Interessen und der Humor hatte uns nicht verlassen, wir heirateten innerhalb von 3 Monaten am 27.11 1947." (Zitat U. Mamlok)

Bis zum März 1949 lebten beide in San Francisco, um dann endgültig nach New York überzusiedeln. Ohne sicheres Einkommen - ihr Mann hatte das Geschäft des Vaters verlassen – sicherte Ursula durch Klavierunterricht so einigermaßen das Familieneinkommen. Erst als ihr Mann eine Zweigstelle des väterlichen Geschäfts in New York führte, ging es dem jungen Paar finanziell besser. "Ich brauchte Anregung um wieder zu komponieren und nahm Unterricht bei einem Europäer, Jerzy Fitelberg. Es war 1950 und ich arbeitete an einem 4-sätzigen Konzert für Streichorchester, das im Stil Bartok ähnlich war. Durch meinen früheren Lehrer Georg Szell konnte ich in Orchesterproben der N.Y. Phiharmonic und Metropolitan Oper, damals unter der Leitung von Dimitri Mitropolous, gehen. Mitropolous probte alles ohne Noten, ein genialer Musiker, der die Erstaufführung von Wozzek 1952 als Konzertaufführung veranstaltete." (Zitat U. Mamlok)

Bei einem Konzert stellte ihr Roger Sessions seinen früheren Schüler Milton Babbitt vor, der damals schon zu der komponierenden Elite gehörte. Babbit war sehr beeindruckt von ihrem Konzert für Streicher und bot ihr an, bei ihm zu studieren. "Auch Mitropolous sah sich die Partitur des Konzertes an und bedauerte, dass es nicht für Orchester war." (Zitat U. Mamlok)

Leider konnte Ursula das Angebot Babbits nicht annehmen, weil sie, um selbst zu unterrichten, den Masters degree haben musste, den sie an der Manhattan School erwerben wollte. 1955, sie war mittlerweile 32 Jahre alt, studierte sie dort bei Vittorio Giannini Komposition, Musikgeschichte sowie amerikanische Geschichte. Der Unterricht fand in 4er Gruppen statt und am Ende des ersten Schuljahres musste ein größeres Kammermusikwerk vorgelegt werden. So vollendete sie dann das 1945 angefangene Bläserquintett. "Das Stück, an Hindemith anklingend, wurde später oft in Konzerten aufgeführt und ist bis heute eines meiner Lieblingsstücke." (Zitat U. Mamlok)

Aus dieser Zeit stammen auch 4 Lieder nach Gedichten von Hermann Hesse "Vom Baum des Lebens" (1957), die in einem chromatischen Stil geschrieben sind, der an den frühen Alban Berg erinnert. Nach 4 Schuljahren an der Manhattan School erwarb sie den Bachelor und Masters degree. Sie hatte immer noch das Bedürfnis weiter zu studieren und beschäftigte sich mit den Werken von Varèse, Webern, Wolpe u.v.m. Ihre eigenen Kompositionen blieben zunächst bei der erweiterten Tonalität. Sehr interessiert an der 12-Ton-Methode von Schönberg und auf der Suche sie zu erlernen, traf Ursula auf den Komponisten Stefan Wolpe. Im Gegensatz zu Giannini und Szell war Wolpe einer der einflussreichsten Lehrer für fortschrittlich denkende Schüler. "Zu meiner bisher komponierten Musik stellte er mit Bedauern fest, dass ich diesen Typ Musik zu lange gemacht hätte. Wolpe, der zwar kurz bei Webern studierte, arbeitete nicht akademisch nachahmend, sondern erfand seine, zwar von 12 Tönen herrührenden, eigene Musik. Das Neue waren: assymetrische Rhythmik, weitgespannte Linien, große Kontraste. Im Gegensatz zu Hindemith, der die Sonatenform sowie die Kontrapunktik früherer Jahrhunderte beibehielt, ist Weberns Stil der konstanten Variation ohne Schönberg undenkbar." (Zitat U. Mamlok)

Zunächst komponierte sie kurze Studien in atonaler Sprache, noch keine 12-Ton-Musik. 1961 nahm sie an einem Kurs der ISCM (Internationale Gesellschaft zeitgenössischer Musik) teil, wo jede Woche ein neuer Komponist vorgestellt wurde. Der Direktor dieser Gesellschaft war der Schwiegersohn von Schönberg, Felix Greissle. Sehr beeindruckt hat sie damals eine Komposition des Wolpe Schülers, Ralph Shapey. "Ich glaubte (was sich als richtig erwies) unter dem Einfluss von Schapey besser arbeiten zu können. Shapeys Lehrmethode war klarer. Ich schrieb rhythmische Übungen, die mich von regelmäßigen Gruppierungen wegbrachte." (Zitat U. Mamlok)

Unter diesem Einfluss entstand das Stück "Designs" für Geige und Klavier (1962). Das zweisätzige, melodische, virtuose und dabei emotionale Stück wurde auch später in verschiedenen Konzerten oft gespielt. Es folgte das 1. Streichquartett (1962), das Ralph Shapey so gut gefiel, dass es von den besten Spielern in einem Konzert der ISCM aufgeführt wurde. In einem Konzert der "Group for contemporary music" (gegründet von Charles Wuorinen) wurde das nächste Stück "Stray Birds" (Text von Rabindranat Tagore) für Sopran, Flöte und Cello (1963) prämiert und in weiteren Städten, auch in München, aufgeführt. Das erste 12-Ton-Stück komponierte Ursula Mamlok 1961 für Flöte solo. Folgende Werke entstanden in der Zeit bei Shapey: "Komposition für Cello Solo" und "For seven" für Trompete, Klarinette, Bassklarinette, Geige, Cello und Schlagzeug (1963). Shapey bekam 1964 eine Anstellung als Dirigent moderner Musik und Lehrer in Chicago und verlies New York. Mittlerweile war Ursula Mamlok als Komponistin schon so bekannt, dass ihre Werke von namhaften Gruppen aufgeführt wurden. Ab 1962 hatte sie dann Lehraufträge an der New York Universität, am Kingsborough College der New York City Universität und an der Manhattan School of Music. Die bekannte Komponistin Tania Leon war eine ihrer Schülerinnen. Durch diese Lehrtätigkeit sehr in Anspruch genommen entstanden in dieser Zeit meist Kammermusikstücke, Stücke für Klavier zwei- und vierhändig - hauptsächlich für Kinder -, wobei sie immer von ihrem Mann unterstützt wurde. "Ohne seine Urteilskraft und seinen Ansporn hätte ich nicht mit solcher Begeisterung und Energie komponieren können." (Zitat U. Mamlok)

Danach folgten zahlreiche Auftragswerke: "Variationen für Schlagzeugquartett", "Haiku" für Sopran und Flöte, 5 Capriccios für Oboe und Klavier (1972-1974). 1972 begann eine bis heute dauernde Verbindung zu dem Verlag Peters/New York, wo viele ihrer Werke veröffentlicht werden. Die Plattenaufnahme des Werkes "Der Andreasgarten", 9 Lieder für Mezzosopran, Flöte und Harfe (1985/86) nach Gedichten ihres Ehemanns Dwight Mamlok, wurde mit einem 1. Preis ausgezeichnet. Der Höhepunkt im Schaffen von Ursula Mamlok war das Stück "Constellations" (1991), ein Auftragswerk des San Francisco Symphonie Orchesters. In der letzten Zeit komponierte sie "2000 Notes", 4 Klavierstücke für die Pianistinnen Marcia Eckert und Sarah Cahill, "Confluences" für Klarinette, Geige, Cello und Klavier zum 35-jährigen Bestehen der Gruppe Continuum, "Rückblick" für Saxophon und Klavier, ein Auftragswerk der Temple Universität für Marshall Taylor sowie 2 Klavierstücke "Inward Journey" und "In high spirits" zum 25-jährigen Jubiläum des Archivs "Frau und Musik" in Frankfurt.

Ursula Mamlok lebte bis zum Jahr 2004 von Oktober bis Mai mit ihrem Mann Dwight in New York und den Rest des Jahres in ihrem Haus in San Mateo, nahe San Franzisco, doch "die Sehnsucht nach Berlin" (Zitat U. Mamlok) bleibt. Nach so vielen Jahren im Exil fühlt Ursula Mamlok sich noch immer Deutschland verbunden. Mit ihrem Mann spracht sie nur deutsch und kaufte in New York bei Schaller&Weber deutsche Lebensmittel ein. Sie hat die Gräueltaten der Deutschen im sogenannten 3. Reich nicht vergessen und nicht verdrängt, aber sie hat auch die jetzige Generation in Deutschland kennen gelernt und viele intensive Freundschaften aufgebaut.

Nach dem Tod von Dwigt Mamlok am 20.9.2005 wurde das Leben für Ursula Mamlok in New York immer beschwerlicher und sie entschloß sich nach Berlin überzusiedeln. Im Sommer 2006 zog sie in Berlin in das Tertianum. Berlin – Equador - New York – Berlin, ein Kreis hat sich geschlossen.

Ursula Mamlok starb am 4. Mai 2016 in ihrer Heimatstadt Berlin.



Beitrag von Isolde Weiermüller-Backes

Letzte Änderung am 6. Mai 2016