Lebenslauf von Heinrich Ferdinand Thieriot

Bild von Heinrich Ferdinand Thieriot Die Musikgeschichte hatte diesen außergewöhnlichen Komponisten fast schon vergessen. Die Gründe sind manigfaltig und bisher nur teilweise erforscht. Wie aus Briefen an Johannes Brahms, Joseph Rheinberger u.a. zu entnehmen ist, war Thieriot ein sehr bescheidener und zurückhaltender Mensch. Aus den Widmungen in seinen Werken ist zu entnehmen, dass er einen sehr großen Bekanntenkreis von Musikern, Philosophen und Dichtern hatte. Mit seinem reizenden, klassischen Kompositionsstil war er damals kein Neuerer. Im "Wagner geschwängerten" Hamburg - und nicht nur dort - wurden seine Kompositionen von manchen Kritikern auch als bieder und veraltet verurteilt. Johannes Brahms, Anton Bruckner, Felix Mendelssohn Bartholdy und andere romantischen Klassiker hatten sehr hohe Standards in der Sinfonik gesetzt.

Thieriot's Stil ist dem Lyrismus eines Felix Mendelssohn Bartholdy nahestehend aber auch die Jahre in Österreich prägten seine stets freundliche und elegante Tonsprache. Harmonische und oft überraschende Fortführungen in seinen Werken heben diese deutlich von seinen Zeitgenossen ab. So wie Thieriot sein Musikerlaufbahn mit Verzögerung begann, war auch seine Laufbahn als Komponist nicht unbedingt stringent. Seine ersten sinfonischen Großwerke waren nur einsätzig (Loch Lomond, op.13 [UA 1868 auf der Altenburger Tonkünstlerversammlung], Ouvertüre zu Turandot, op.43, [UA am19.1.1888 im Leipziger Gewandhaus] Patriotische Festouvertüre, [UA am 14.2.1895 ebd.]) Sie konnten durch diese formale Beschränkung nicht an die mehrsätzigen Formen der "großen Meister" anknüpfen. Erst in den späten Leipziger Jahren und im ausgehenden neuen Jahrhundert fand Thieriot die Möglichkeit mehrsätzige Sinfonien zu komponieren.

Ferdinand Thieriot wurde am 7. April 1838 in Hamburg geboren. Er war dort Schüler von Eduard Marxsen in Altona und gehörte dem Musikerkreis um Johannes Brahms an, der ebenso Marxsen-Schüler war. Später war Thieriot Schüler von J. G. Rheinberger in München. Zu beiden Lehren verband ihn Zeitlebens ein enges, freundschaftliches Verhältnis. Thieriot war verheiratet mit der Verlegertochter Else Berens. Die Ehe blieb kinderlos. Als Musiklehrer und Musikdirektor wirkte Thieriot in Hamburg, Ansbach (1867), Leipzig (1868, ab 1897 auch im Direktorium der Bachgesellschaft) und Glogau (1868-1870). Brahms empfahl Thieriot dann auf die Stelle des "artistischen Direktors" des Steiermarkischen Musikvereins in Graz (1870-1885). Während der Grazer Zeit wurden viele seiner Werke aufgeführt, u.a. das Symphonische Phantasiebild 'Loch Lomond', das 1. Klavierkonzert, Tarantella aus der Sinfonietta op. 55, E-Dur, sowie die Ouvertüre zu Schillers 'Turandot', op. 43. In Konzertkritiken wird Thieriot meist hoch gelobt "... fand auch beim Publicum eine warme und freundliche Aufnahme wie sie solche auch verdient hat... Treffliche Arbeit, Klarheit und Geschmack in der Instrumentation Verwendung gediegener und charaktervoller Motive...Bereicherung des Concertrepertoires..." (Kritik zu' Turandot' aus dem 'Leipziger Tageblatt' vom 19.01.1888). Seine Auftritte als Dirigent in Leipzig waren nicht minder erfolgreich: "...; nach dem Letzten (Satz) wurde der Componist mehrmals hervorgerufen. Das Werk (Sinfonietta op. 55) bildet jedenfalls für die Orchester, die der Aufführung gewachsen sind, eine dankbare Aufgabe und dürfte wohl den Concertinstituten eine willkommene Erscheinung sein." (aus dem "Leipziger Tageblatt" vom 30.10.1891)

Ab März 1902 war Thieriot wieder in Hamburg wohnhaft, wo er bis zu seinem Tode lebte (regelmäßige Aufführungen seiner Werke in den Hamburger Philharmonie- und Singakademiekonzerten). Er verstarb am 4. August 1919 in Hamburg-Uhlenhorst.



Beitrag von Walter Zielke
Letzte Änderung am 22. Januar 2007