Lebenslauf von Kurt Weill

Bild von Kurt Weill Weill begann sein Studium unter Rudolf Krasselt und Engelbert Humperdinck an der Hochschule für Musik Berlin, wirkte 1919 als Korrepetitor am Dessauer Theater,1920 als Musikdirektor der Oper in Lüdenscheid und setzte seine Ausbildung 1921-24 an der Berliner Hochschule unter Feruccio Busoni fort. Durch Vermittlung von Fritz Busch gewann er den erfolgreichen Dramatiker Georg Kaiser als Librettisten. Diese Zusammenarbeit wurde mit dem Einakter "Der Protagonist" (1924/25) eingeleitet und mit den Opern "Der Zar läßt sich photographieren" (1927) und "Der Silbersee" (1932) weitergeführt. Der viel spätere Plan, Herman Milvilles "Moby Dick" für die Musikbühne zu bearbeiten, wurde 1945 durch Kaisers Tod zunichte gemacht. Die Jahre 1927-30 waren hauptsächlich der Zusammenarbeit mit Bertolt Brecht gewidmet, angefangen mit dem Songspiel "Mahagonny" dessen Uraufführung im Rahmen des Musikfestes Baden-Baden 1927 zum musikalischen Skandal führte. "Die Dreischroschenoper" (1928) wurde der größte Publikumserfolg eines deutschen Bühnenwerkes in Dezennien und eines der umstrittensten Kulturereignisse des politisch gespannten damaligen Deutschlands. Das Werk vereinte Brechts zeitgemäße Bearbeitung der englischen "Beggar's Opera" (1728) von John Gay mit Weills einzigartiger, epochemachender Musik. Die Schuloper "Der Jasage" (1930) wurde vor 1933 in über 500 Schulen aufgeführt. Die Erweiterung des "Mahagonny" zur abendfüllenden Oper "Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny" erreichte dagegen nicht die Popularität der "Dreigroschenoper". 1928 hatte sich Weill mit der Schauspielerin Lotte Lenja verheiratet. Das Ehepaar verließ 1933 Deutschland. Nach Aufenthalten in Paris (1934), wo Weill u.a. das Ballett "Die sieben Todsünden" (seine letzte Zusammenarbeit mit Brecht) schrieb, und London (1935) gingen sie, einem Rufe Max Reinhardts folgend, 1935 in die USA (Einbürgerung 1943). Obgleich Weill New City, einen Künstler-Vorort der Stadt New York, als ständigen Wohnsitz wählte, verbrachte er einen großen Teil seiner amerikanischen Jahre in Hollywood. Er arbeitete mit vielen der hervorragendsten Verfasser und Regisseure der Zeit und trug erheblich zum amerikanischen Musikleben bei.

Weills Kompositions-Stil entwickelte sich schnell zur gängigen Moderne. Bald jedoch schien Weill erkannt zu haben, daß eine abstrakt-ästhetische Erneuerung der musikalischen Sprache "von innen heraus" ihm nicht zusagte. Er wandte sich in der Zusammenarbeit mit gleichgesinnten Schriftstellern wie Georg Kaiser, Ivan Goll, Bert Brecht u.a. von nun an fast ausschließlich der Vokal- und Bühnenmusik zu. In dem von Brecht postulierten "epischen Theater" glaubte er das formuliert zu sehen, was ihm selbst bisher nur vage vorgeschwebt hatte. Dabei kam es ihm vor allen Dingen auf die Überbrückung der Kluft zwischen weltfremd-isolierter Kunst und dem Publikum der grimmigen Nachkriegswirklichkeit an. Er bestand darauf; das musikalische Milieu der Zeit weder zu verleugnen noch unkritisch zu akzeptieren. In der ersten Fassung von "Mahagonny" (1927) entwickelte er bereits seine spezifische Liedform der "Songs". Diese bestehen hauptsächlich aus den Stilelementen bekannter populärer Musikformen, nicht nur der Tanzmusik der Zeit (Shimmy, Blues, Tango usw.), sondern auch Formen älteren Ursprungs (Moritaten, Balladen und Schnulzen, Opernklischees, Kaffeehausmusik und Kirchen-Choräle). Durch Einfügung "falscher" Noten", "verbotener" Modulationen und unsymmetrischer, nicht passen wollender Phrasen und Pausen (Dingen, die Weill mit brillantem, unfehlbarem Geschick manipulierte) und durch gewollt ungeschliffene Instrumentierung lenkte er die Aufmerksamkeit des Publikums auf die Gefühlsfalschheit und Kunstlosigkeit vieler der üblichen, gedankenlos akzeptierten Formeln; er verstand alles und verzieh nichts. Weills unhestrittene melodisch-harmonische Individualität und sein außergewöhnliches Feingefühl für Sprachnuancen trugen sehr dazu bei, diesen Songs eine fesselnde Vitalilät, eine impertinente Frische, einen merkwürdigen, unwiderstehlichen Charme zu geben. Die Oper "Die Bürgschaft" (1931), die sich zum direkten Vergleich mit der großen Oper stellt, zeigt dagegen, daß die Kleinform der Songs eine so monumentale Struktur wie die einer abendfüllenden Oper kaum überzeugend zusammenhalten kann, ein Mangel, den die große "Mahagonny"-Version bereits ahnen ließ. Andererseits wurde das Ballett "Die sieben Todsünden" zu einem der geglücktesten Werke Weills. Es ist kaum abzuleugnen, daß Weills Musik in seinen amerikanischen Jahren eine erhebliche Verflachung erlitt. Sein Missionstrieb, das Niveau des Unterhaltungstheaters zu heben, blieb jedoch ungebrochen. Kaum je vor Weill waren Themen wie Antimilitarismus, Religion, Politik und Psychoanalyse als für Broadway-Musicals geeignet angesehen worden. Dazu ist seine Schuloper "Down in the Valley" (1948), für die halb-professionellen amerikanischen "opera-workshops" geschrieben, zum Modell zahlloser ähnlicher Werke geworden. Zusammenfassend könnte man sagen, daß Weill sich den äußerlichen Konventionen der jeweiligen Situation anpaßte, trotzdem aber nie kritiklos übernahm, was er vorfand. Selbst der musikalisch fast anonymen Routine des typischen Broadway-Musicals verlieh er den Stempel seiner künstlerischen Persönlichkeit.
Letzte Änderung am 1. Mai 2004