Richard Wagner (1813-1883)

Siegfried-Idyll

Allgemeine Angaben zum Werk:

Titel: Siegfried-Idyll
Tonart: E-Dur
Widmung: "Tribschener Idyll ... als Symphonischer Geburtstagsgruss. Seiner Cosima dargebracht von Ihrem Richard"
Entstehungszeit: 1870
Uraufführung: 25. Dezember 1870 in Tribschen am Vierwaldstettersee in kleinster Kammermusik-Besetzung (der Dirigent Hans Richter hatte extra Trompete gelernt, um das Siegfried-Idyll blasen zu können, die Fassung für Orchester führte Wagner erst ein Jahr später im Dezember 1871 in Mannheim auf)
Besetzung: kleines Orchester (Flöte, Oboe, 2 Klarinetten, Fagott, 2 Hörner, Trompete, Streicher)
oder: Orchester (Flöte, Oboe, 2 Klarinetten in A, Fagott, 2 Hörner in E, Trompete in C, Violine I, Violine II, Viola, Violoncello, Kontrabass)
Spieldauer: ca. 19 Minuten
Erstdruck: Mainz: Schott, 1878
Verlag: Paris: Heugel, 1951
Boca Raton: Masters Music Publishing, 2000
Riverwoods, IL: Edition Silvertrust, 2011 (für Streichquartett)
Opus: WWV 103: Siegfried-Idyll E-Dur

Tempobezeichnung:

Ruhig bewegt

Hintergrundinformation:

Wagners Leben war bekanntlich ein einziges Drama - künstlerisch, politisch, finanziell und nicht zuletzt menschlich. Wie eine Insel der Ruhe liegt darin das Siegfried Idyll, ein Werk, das Wagner einmal als seine liebste Komposition bezeichnete. Und doch beschreibt auch das Siegfried Idyll nur das mehr oder weniger glückliche Ende dramatisch verwickelter Verhältnisse.

Das Werk ist ein Weihnachts- und Geburtstagsgeschenk des 57-jährigen Komponisten für seine frisch angetraute junge Frau Cosima und markiert das Ende der langen und äußerst unruhigen Anfangsphase dieser Beziehung. Begonnen hatte diese 13 Jahre zuvor, im Jahre 1857, als Cosima, die Tochter Franz Liszts, ausgerechnet auf der Hochzeitsreise mit ihrem ersten Ehemann, dem großen Pianisten und Dirigenten Hans von Bülow, mehrere Wochen bei Wagner in Zürich Station machte. Bereits damit trat Cosima, wiewohl vorläufig noch in einer Nebenrolle, in Wagners ohnehin schon komplizierte Frauenbeziehungen.

Wagner wohnte seinerzeit mit seiner Frau Minna im „Asyl“, einem Nebengebäude der Villa des reichen Kaufmannes Otto Wesendonk in Zürich, der den hochverschuldeten Komponisten finanziell unterstützte. Gleichzeitig unterhielt Wagner, der hier seine Treubruchsoper „Tristan und Isolde“ begann, mit dessen junger Ehefrau Mathilde zarte Bande, für die allerdings weder seine Frau noch Mathildes Mann viel Verständnis hatten. Die Spannung, die sich in diesem Vierecksverhältnis aufgebaut hatte, führte im Jahre 1858 zu einem ersten Höhepunkt des Wagenerschen Frauendramas. Minna fing einen heimlichen Brief Wagners an Mathilde ab und legte ihn offen. Im Zuge der Verwicklungen, die daraus resultierten, flüchtete Wagner aus dem Asyl und war damit von Minna und Mathilde getrennt. Dies hatte zur Folge, dass Cosima in den Vordergrund des Geschehens treten konnte. Wagners Geliebte wurde sie schließlich im Sommer 1864 in Starnberg, wo der Komponist seinerzeit auf Einladung König Ludwig II. von Bayern lebte.

Nach der Beziehung zu Mathilde Wesendonk befand sich Wagner damit ein zweites Mal in der Rolle des Tristan, desjenigen also, der einen Vertrauten oder Gönner mit dessen Frau hintergeht (als solcher freilich schuldlos, weil er „versehentlich“ einem Liebestrank erlag). Während eine Frucht der Wesendonk-Affäre, die möglicherweise nur platonischen Charakter hatte (darüber streiten die Gelehrten), ein Geistesprodukt, nämlich die Oper „Tristan und Isolde“ war, stellte sich als Folge der Starnberger Ereignisse bei Cosima von Bülow im Frühjahr 1865 eine leibhaftige Isolde ein. Für Hans von Bülow sah das neue Dreiecksdrama eine merkwürdige Doppelrolle vor. Er galt als Ehemann von Cosima einerseits als Vater von Isolde, andererseits hatte er die menschlich nicht unproblematische, musikhistorisch aber höchst bedeutsame Aufgabe, kurz nach der Geburt von Isolde die Treubruchsoper „Tristan und Isolde“ aus der Taufe heben zu dürfen.

Der Wechsel der Szene zum Schauplatz des Siegfried-Idylls erfolgte, als Wagner sich wieder einmal in die Politik einmischte und, nachdem er wegen derartiger Umtriebe früher schon aus Sachsen geflohen war, nunmehr auch Bayern schnellstens verlassen musste. Er ging im Jahre 1865 zurück in die Schweiz, wo sein neues Asyl das wunderschön gelegene Landhaus Tribschen am Luzerner See wurde. Nach diesem Ort wurde das Siegfried Idyll ursprünglich als Tribschener Idyll bezeichnet.

Für eine idyllische Wendung der Handlung war freilich auch in Tribschen vorerst kein Raum. Fast 2 Jahre war Cosima zwischen ihren beiden Männern hin- und hergerissen und pendelte unter peinlichen Umständen zwischen München und Luzern, eine Zeit, in der sie, wiewohl noch immer mit Hans von Bülow verheiratet, ein weiteres Kind (Eva) gebar, dessen Vater Wagner war. Erst als Cosima im Herbst 1867 samt ihren 4 Töchtern - 2 stammten aus der Ehe mit Hans von Bülow - ganz nach Tribschen zog, begannen sich die Dinge zu entspannen. Im Sommer 1869 - Wagner komponierte gerade den „Siegfried“ zu Ende - kam der lang ersehnte Stammhalter zur Welt und erhielt den Namen des Titelhelden dieser Oper. Kurz darauf wurde Cosima von Hans von Bülow geschieden und konnte Wagner heiraten.

Das Siegfried Idyll, das unmittelbar danach im Oktober 1870 entstand, spiegelt die erlösende Ruhe, die nach all diesen Verwicklungen in Wagners persönlichen Verhältnissen eingetreten war. Seine Musik ist, wie immer bei Wagner, äußerst beziehungsreich. So enthält sie nicht nur musikalische Elemente der Oper „Siegfried“, was im Hinblick auf den frisch geborenen Sprössling nahe lag, sondern vor allem auch Motive, die bereits in der Zeit entstanden waren, in der Cosima in Starnberg seine Geliebte wurde. Andere Motive spielen auf Familienereignisse an - so der Ruf von Fidis (Tochter Evas) Vogel, den die Trompete am Ende des Mittelteiles einwirft (der ursprüngliche Titel des Werkes lautete: Tribschener Idyll mit Fidi-Vogelgesang und Orange-Sonnenaufgang). Auch dramatische Verwicklungen sind nicht ausgelassen. Das ganze Werk ist durch ein intimes Programm geprägt, das Wagner dezenterweise zwar für sich behalten, von dem er aber gesagt hat, dass er es bis auf das „und“ schreiben könne. Zugleich ist es aber auch ein ganz aus sich selbst verständliches Stück „absoluter“ Musik, das zum Vorbild für viele spätere Orchesterstücke wurde.

Die Uraufführung fand nach heimlicher Vorbereitung am Morgen des Weihnachtstages 1870 im Treppenhaus von Tribschen statt. Cosima, die Geburtstag hatte, wurde von den leisen Anfangsklängen aufs Zärtlichste geweckt und erhielt anschließend die Partitur überreicht. Es ist als habe Wagner damit ein Ereignis konterkarieren wollen, das noch in die unruhige Zeit des Beginns seiner Beziehung zu Cosima gehört. Im Jahre 1857 hatte er nämlich Mathilde Wesendonk zum Geburtstag, der ebenfalls in der Weihnachtszeit lag, in Abwesenheit ihres Ehegatten frühmorgens im Treppenhaus ihrer Villa mit der Uraufführung eines der Wesendonk-Lieder überrascht, was im Hause Wesendonk zu erheblichen Turbulenzen führte.
Letzte Änderung am 29. Oktober 2011
Beitrag von Klaus Heitmann

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