Jacques Chailley (1910-1999)

La Dame à la Licorne

(Die Dame und das Einhorn)

Allgemeine Angaben zum Ballett:

Titel: La Dame à la Licorne
Titel deutsch: Die Dame und das Einhorn
Titel englisch: The Lady and the Unicorn
Entstehungszeit: 1953
Uraufführung: 11. Mai 1953 in München (Theater am Gärtnerplatz) in Anwesenheit von Jean Cocteau
Choreographie: Heinz Rosen
Bühnenbild und Kostüme: Jean Cocteau
Darstellerin des Einhorns: Veronika Mlakar
Besetzung: Orchester
Bemerkung: Um dem anspruchsvollen Thema musikalisch gerecht zu werden, wandte sich Jacques Chailley der Zeit zu, in welcher die sechs Einhorn-Gobelins, die sich jetzt im Musée de Cluny in Paris befinden, entstanden sind. Der Komponist vertiefte sich in die Farben und die Ornamentik der kostbaren Webarbeiten aus Wolle und Seide und übertrug die Symbolik in seine Musik. Es entstand ein sehr eigenwilliges Ballett mit großer Suggestionskraft, welches auf die breite Resonanz der internationalen Musikwelt stieß. Als kongenialer Partner bei der Umsetzung seiner Vorstellungen stand ihm Jean Cocteau zur Seite, der das Szenario entwarf und für Bühnenprospekt und Kostüme sein schöpferisches Potenzial zur Verfügung stellte. Cocteau analysierte die Attribute der dargestellten Figuren und legte sich hierzu eine Geschichte zurecht, die zu dem Gehalt der Bilder passen sollte. In den Mittelpunkt des Balletts setzt Heinz Rosen die Schreckhaftigkeit des sterbenden Einhorns. Für die superschlanke Dame wählte der Komponist als Leitmotiv den Wahlspruch des letzten Wandteppichs „A Mon Seul Désir“. Zu dem Thema existiert ein Lied aus dem fünfzehnten Jahrhundert, welches den Titel „Le Grand Désir“ trägt.

Zum Ballett:

Art: Ballett in einem Akt
Libretto: Jean Cocteau, inspiriert durch die Gobelins von Cluny

Personen:

Die Dame
Das Einhorn
Der Ritter
Der Löwe
Sechs Jungtiere

Handlung:

Auf einer Waldlichtung steht ein kreisrundes Zelt, welches von einem goldenen Türmchen geziert wird. Kleine Einhörner sind umständlich damit beschäftigt, die Zeltplane von edlem Design zum Eingang auseinander zu schlagen. In der Mitte des Zeltes sieht man die Dame mit dem Einhorn. Sie liegt auf einer Chaiselongue und das Einhorn ruht zu ihren Füßen. Boshafte Gedanken führen den Ballettbesucher zu der Vermutung, dass die beiden eine Romanze erlebt haben. Die Dame hält dem Einhorn einen Toilettenspiegel vor das Gesicht, damit es sich in Ruhe betrachten kann. Es wird ein bisschen vor dem Zelt getanzt und dann gibt es Futter für das Tier. Hinter der Bühne ertönt Lärm. Ein Ritter betritt die Szene und hat einen Löwen im Gefolge. Das Einhorn gebärdet sich schreckhaft und nimmt sofort Reißaus. Der Ritter entfernt sich mit der Dame in den Wald. Das Einhorn kommt zurück und fühlt sich verlassen, weil es die Dame nicht vorfindet. Ihren Spiegel hat die Verehrungswürdige zurückgelassen und das Einhorn sieht darin den Ritter in dreifacher Ausfertigung. Das Utensil hat die Attribute eines Zauberspiegels, denn auch die Dame erscheint gleich mehrfach, aber in unterschiedlicher Bekleidung. Völlig irritiert zertritt das Fabeltier den Spiegel. Die Dame kommt zurück, denn sie hat Futter für ihren Liebling gesucht. Dieser verweigert aus Trotz jede Nahrungsaufnahme und gibt den Geist auf. Die Dame trauert, und die kleinen Einhörner kommen herbei, um den Leichnam ihres Artgenossen davonzutragen. Der Ritter erscheint und möchte die Dame trösten. Sie will nichts von ihm wissen und schickt ihn fort. Von der Decke senkt sich ein Spruchband, auf dem in französischer Sprache steht: „An mein einziges Verlangen“.

Damit haben Herr Rosen und Herr Cocteau den Inhalt der sechs Teppiche umgesetzt und der Vorhang kann fallen.

Hintergrundinformation:

Mit ziemlicher Sicherheit wird angenommen, dass die Gobelins zwischen 1480 und 1500 in einer Manufaktur Nordfrankreichs fertiggestellt wurden. Die Heraldik schreibt das Wappenzeichen auf Schild und Standarte der Familie Le Viste zu. Ein Vertreter dieses Namens war Jean le Viste, Präsident des französischen Kirchenrates zu Ende des 16. Jahrhunderts. Viele Damen der damaligen Gesellschaft fühlten sich angesprochen, eine von den Abgebildeten zu sein. Die Forschung hat sich jedoch bis heute nicht festgelegt. Bei der Botschaft, welche die Teppiche verkünden, soll es sich nicht nur um eine Beschreibung der fünf Sinne handeln, sondern sie soll eine Romanvorlage stichwortartig wiedergeben. Eine andere Variante erzählt, dass der Sohn eines Sultans die Dame als „sein einziges Verlangen“ umworben haben, sein Schmuckkästchen aber zurückgewiesen worden sein soll.

Die Beschreibung der Gobelins im Musée de Cluny:

Erster Teppich: DAS GEHÖR
Auf einem langen schmalen Tisch in der Mitte eines Gartenbeetes steht ein Musikinstrument. Die Heimorgel lässt sich von zwei Seiten bedienen, weshalb auch zwei züchtig gekleidete Damen anwesend sind. Auf der linken Seite sitzt ein Löwe auf seiner Hinterhand und hält eine Standarte; auf der rechten Seite erkennt man ein Einhorn, welches mit den Vorderläufen ebenfalls eine Standarte umklammert, die in die Blumenrabatte (Bodendecker) gerammt ist. Das Horn kann als Waffe durchaus nützlich sein, wenn der Paarhufer geschickt und flink damit umgeht. Von Jägern, die gern mit Heldentaten protzen, wird es erbarmungslos verfolgt. Drei Kaninchen und weiteres Kleinvieh halten sich im Vordergrund verstreut.

Zweiter Teppich: DAS GESICHT
Der Schemel, auf dem die Dame sich in der Mitte des Blumenbeetes platziert hat, wird von ihren Rockschößen bedeckt. In der Hand hält sie einen runden Kosmetikspiegel mit einem Stiel zum Anfassen und goldener Umrandung. Das Utensil hält sie dem Einhorn vor das Gesicht, damit es sich eingehend betrachten kann. Dazu hat es die Vorderläufe auf den Schoss der Dame gelegt. Das Kleinvieh hat seine Plätze verändert. Der Löwe – die Physiognomie ist weiblich, der gepflegte Bart weist ihn aber als männliches Tier aus - schiebt die Zunge vor und schaut gekränkt geradeaus.

Dritter Teppich: DER GERUCH
Auf dem Schemel steht ein großer Korb mit abgerissenen Blumenköpfen. Kein Platz ist auf der Bank, die Hochgewachsene muss den Blumenkranz im Stehen winden. Zusätzlich hält eine Magd einen goldenen Teller mit sortierten Blumenköpfen hin, von dem die Dame entnimmt. Die beiden Wappentiere schnuppern den Geruch und das Einhorn beobachten aufmerksam, wie die Arbeit an dem duftenden Blumenkränzchen voranschreitet.

Vierter Teppich: DAS GEFÜHL
Die superschlanke Dame wechselt auf jedem Bild das Gesicht und das eng anliegende Gewand. Das Einhorn wird zärtlich beim Horn genommen. Die Standarte hält diesmal die Dame. Vermutlich hat das Einhorn im Vorderlauf vorübergehend einen Wadenkrampf. Der Hauslöwe ist über die extreme Bevorzugung sichtlich verärgert und sieht ganz alt aus. Die Rivalität zwischen den beiden Tieren ist unverkennbar.

Fünfter Teppich: DER GESCHMACK
Vornehmer gekleidet als die Magd auf Bild drei hält diese eine Bonbonniere mit Konfekt oder Haselnüssen in Händen und will das Einhorn füttern, welches sich angeekelt abwendet. Der Löwe sieht seine Chance gekommen, auch einmal eine kleine Aufmerksamkeit zu erlangen und streckt die Zunge heraus. Schmecken dürfte ihm das Konfekt allerdings auch nicht - Kaninchenragout wird nicht angeboten. Die Dame ist sehr tierlieb. Auf den Rocksaum hat sich ein Äffchen mit einem edelsteinbesetzten Halsband niedergelassen und auf dem Zeigefinger der rechten Hand sitzt ein Vögelchen. Wenn man will, kann man einen Kuckuck erkennen.

Sechster Teppich: A MON SEUL DÉSIR
Die Dame wurde beschenkt! Eine Dienerin hält eine kleine Schatztruhe mit gewölbtem Deckel. Die Kleinodien liegen in einem weißen Tuch, welches die Dame in den Behälter zurücklegt. Der Löwe meint, er müsse den Vorgang mit Grimassenspiel begleiten. In der Mitte der Blumenwiese befindet sich ein Zelt. Aufgrund der räumlichen Enge hat man das einzige Möbel, eine Sitzbank, nach draußen gestellt. Das kleine Rundzelt trägt ein goldfarbenes Türmchen zum verzierten blauen Tuch mit strohgelber Fütterung. Besonders auffällig ist das Spruchband „A Mon Seul Désir“, welches das Zeltdach dekorativ umschließt. Der kleine Rundbau harmoniert perfekt mit dem rot geblümten Hintergrund und dem Grün der Obstbäume, die reichlich Früchte tragen. Der Gärtner hat sich Mühe gegeben und aufregende Kreationen gezüchtet, die auf jedem Teppich anders gestaltet sind. Besonders schmackhaft scheinen die hochstämmigen Himbeeren zu sein, die nur über eine Leiter zu erreichen sind.
Letzte Änderung am 6. November 2007
Beitrag von Engelbert Hellen

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