John McCabe (geb. 1939)

Edward II

Allgemeine Angaben zum Ballett:

Titel: Edward II
Anlass: Auftrag des Stuttgarter Balletts
Entstehungszeit: 1993-95
Uraufführung: 15. April 1995 in Stuttgart (Württembergisches Staatstheater)
Choreographie: David Bintley
Dirigent: Davor Krnjak
Orchester: Stuttgarter Ballettorchester
Besetzung: Orchester
Spieldauer: ca. 110 Minuten
Erstdruck: London: Chester Music and Novello & Co, 1995 (Leihmaterial)
Bemerkung: Das tragische Schicksal des englischen Königs Edward II. erzählt John McCabe in chronologischer Reihenfolge und breitet somit einen historischen Bilderbogen großen Ausmaßes aus. Die zwielichtigen Charaktere stellt der Komponist in zehn Ballettszenen vor und spart nicht an reißerischen Effekten. Die kühne Harmonik der Musik ist niemals Selbstzweck, sondern die einzelnen Instrumente des Orchester werden dazu benutzt, Personen und Situationen psychologisch sorgfältig auszuleuchten. Die Thematik des Dramas wird musikalisch hinreißend illustriert und treibt das Geschehen unerbittlich dem Höhepunkt zu. Die Anwendung des Leitmotivs erfüllt den Zweck, auf zurückliegende Handlungsabläufe Bezug zu nehmen. Mit diesen Mitteln gelingt John McCabe der große Wurf. Mit knapp zwei Stunden Dauer schuf er eines der bedeutsamsten abendfüllenden Ballette des zwanzigsten Jahrhunderts. Es war weniger die Uraufführung in Stuttgart, welche die Aufmerksamkeit der musikalischen Öffentlichkeit erregte, sondern die sorgfältig einstudierte Inszenierung von Birmingham - im Jahre 1999 auf Tonträger festgehalten - bewirkte den globalen Triumphzug. Das Tanzdrama geriet nicht in Vergessenheit, etwa acht Jahre später wurde es vom Birmingham Royal Ballet erneut in den Spielplan genommen.

Zum Ballett:

Art: Ballett in zwei Akten
Libretto: nach dem Drama von Christopher Marlowe
Ort: England und Frankreich
Zeit: zu Beginn des 14. Jahrhunderts

Personen:

Edward II.: König von England
Isabella: seine Frau
Edward III.: beider Sohn
Gaveston und Despenser: Günstlinge des Königs
Mortimer: Isabellas Liebhaber
Warwick und Lancaster: Gavestons Gegenspieler
Lightborn: Anführer der Fauvel-Truppe
König Karl IV.: König von Frankreich
Herzog von Hainault: Isabellas Verbündeter in Frankreich
Philippa: seine Tochter und Edward III. versprochen
Weitere: Gefängniswärter, Söldner, Höflinge, Flaggelanten, Narren

Handlung:

1. Akt: 1
Mit dem Trauerzug zur Beerdigung von König Edward I. setzt die Handlung ein. Die leidtragenden Angehörigen, der Adel und die hohe Geistlichkeit folgen dem Katafalk in Andacht und Trauer. Flaggelanten gehören zum Gefolge und finden das auffällige Interesse des Publikums. Nachdem der Trauerzug außer Sicht ist, sondern sich ein paar Spaßvögel ab und vollführen ihre Kapriolen. Als Anführer tut sich Piers Gaveston, der aus der Verbannung zurückgekehrte Günstling des Kronprinzen, mit seinen Späßen hervor. Eine Truppe reisender Schauspieler unterstützt ihn bei seinen Parodien.

Die Krönung von Edward II. bietet Anlass zu feierlichem Gepränge. Die allumfassende Aufmerksamkeit des neuen Königs gilt seinem Günstling Piers Gaveston, den er nach langer Trennung mit einer herzlichen Umarmung vor allen favorisiert. Edward adelt ihn als Entschädigung für erlittenes Ungemach durch die Lords und seinen Vater und ernennt ihn zum Earl of Cornwall. Die Barone fühlen sich brüskiert und empören sich. Der jungen Königin Isabella hat man zugetragen, dass ein homoerotisches Verhältnis die Grundlage der Vertrautheit zwischen König und Höfling festigt. Ein anzüglicher Pas de deux der beiden bestätigt den Sachverhalt. Das allgemeine Missvergnügen ob der Unbekümmertheit der beiden, denen die Moral und die öffentliche Meinung offenbar gleichgültig sind, wächst. Isabella zieht sich vom Fest zurück.

2
Die Verstörte beklagt ihr Unglück und gießt ihren Unmut über ihre weibliche Dienerschaft aus. Diese versucht vergeblich, ihre Herrin zu besänftigen. Edward betritt das Gemach und tanzt mit seiner hoheitsvollen Gattin ein Duo. Allmählich kommt Intimität auf, als Edward beginnt, aufzutauen. Die leidenschaftlichen Beschwerden gegen Gaveston und ihre Einsprüche gegen sein Verhalten machen den König ärgerlich.

Gaveston selbst erscheint und provoziert einen furiosen Streit mit der Königin, die in Tränen ausbricht. Edward beendet zwar den Zwist, doch gewinnt Gaveston schnell seine Aufmerksamkeit zurück. Die beiden Liebenden tanzen leidenschaftlich miteinander, ohne die Anwesenheit Isabellas zu respektieren. Störenfriede treten auf und gebärden sich grimmig bis zur Raserei. Anführer sind Mortimer, Warwick und Lancaster, die Gaveston ans Leder wollen.

3
Außerhalb des königlichen Palastes genießen Edward und Gaveston die idyllische Atmosphäre eines Picknicks. Die Fauvel-Truppe tritt auf und sorgt für angenehme Unterhaltung.

Szenenwechsel zurück in den Palast! Isabella gefällt die Rolle der vernachlässigten Gemahlin nicht und hat sich den Draufgänger Mortimer zum Liebhaber erkoren. An seiner Seite und in seiner Umarmung bringt sie ihren Frust zum Schweigen. Nachdem er sie beruhigen konnte, versucht er, die Königin zu einer Unterschrift unter eine Petition zu verleiten, die gegen das Leben Gavestons gerichtet ist. Obwohl sie Bedenken hat und die Vorgehensweise rügt, akzeptiert Isabella das Dokument.

Edward weist die Bittschrift zurück und Gavestons Spott trifft die Barone in zutiefst in ihrem Stolz. Erzürnt planen diese seinen Untergang.

4
Der Krieg gegen Schottland fordert die volle Aufmerksamkeit. Die Engländer verlieren und der Tod hält auf dem Schlachtfeld von Bannockburn reichlich Ernte.

Die Barone gewinnen die Oberhand und veranstalten eine Jagd auf den verhassten Gaveston. Dieser flüchtet aus dem Palast und versucht, sich auf den Blaklow-Hügeln zu verbergen. Nun sind die Barone an der Reihe, sich über Gaveston lustig zu machen und furchtbare Rache zu üben. Der Günstling des Königs überlebt die Torturen nicht und wird schließlich geköpft. Das abgeschlagene Haupt wird dem König zugestellt.

5
Edwards Schmerz um Gavestons Tod greift seine Zurechnungsfähigkeit an. Er nimmt den Kopf in die Hände und tanzt mit ihm nach den Leitmotiven des zweiten Aktes. Isabella versucht, den Gemahl in seinem Schmerz zu trösten, erzielt aber kein Resultat. Edward sinnt auf furchtbare Vergeltung.
2. Akt: 6
Einige Jahre sind inzwischen verstrichen. Das Desaster der Schlacht von Bannockburn lebt noch in der Erinnerung. Der neue Favorit des Königs ist Hugh Despenser, Mitglied eines Clans, der im Zusammenklang mit Edward beträchtliche wirtschaftliche Vorteile für sich herausholen konnte.

Despenser manipulierte den Untergang von Warwick und Lancaster, die - nackt ausgezogen und ausgepeitscht - den Weg zur Exekution beschreiten mussten. Mortimer war es gelungen, nach Frankreich zu entfliehen.

Der König spielt mit seinem kleinen Sohn, dem zukünftigen Edward III., den Despenser unter seine Obhut genommen hat. Der Prinz ist im Begriff, mit seiner Mutter nach Frankreich zu reisen, um dort in Vertretung seines Vaters am Hofe Karls IV. die Ehre Englands zu repräsentieren. Isabella handelt einen Waffenstillstand für zwei Jahre zwischen England und Frankreich aus.

Seiner Mutter vertraut der kleine Prinz seine Furcht vor Despenser an. Das intime Verhältnis zum König erinnert sie an die unliebsame Zeit, als Gaveston noch lebte. Edward tanzt einen Pas de deux mit seinem Günstling, ohne jedoch die gleiche Intimität und Leidenschaft zu erreichen, die er seinem Vorgänger entgegenbrachte.

7
Der französische Hof mit seinem Glimmer wirkt auf den jungen Prinzen prächtiger und farbenfroher als der seines Vaters. Dort wartet bereits Philippa, seine kleine Braut, auf ihn. Mit dem Herzog von Hainault hat Isabella die eheliche Verbindung ausgehandelt, wenn er ihr dafür Söldner zur Verfügung stellt. Die Kinder werden als Paar dem Hof formell vorgestellt und beide tanzen in aller Unschuld ihre Variation.

Mortimer ist an der Seite der Queen immer präsent. Nachdem der Hof sich zerstreut hat, finden sich beide im Tanz, der weitaus leidenschaftlicher und ungezügelter ist, als sie das erste Mal aufeinander trafen. In der Geringschätzung über Edward sind sie sich einig, und sie wünscht von ihm befreit zu sein.

Isabella hat ihren großen Auftritt. Als der Herzog von Hainault ihr eine Abteilung seiner Soldaten zur Verfügung stellt, trägt sie zum Purpur eine Kampfausrüstung, um den Mittelpunkt eines Schwertertanzes betonter Aggression zu bilden.

Die Literaturgeschichte hat ihr den Titel einer „Wölfin von Frankreich“ verliehen.

8
In Hochstimmung ziehen Mortimer und Isabella durch England und freuen sich über ihren spontanen Sieg. Edward und Despenser haben sich als Klosterbrüder verkleidet und verstecken sich in Neath Abbey. Der König fühlt sich abgehetzt und ist bestürzt, dass seine Feinde so leicht triumphieren konnten. Edwards Lage ist aussichtslos, er fühlt sich von allen verraten. Die Bemühungen Despensers, den König über sein Unglück hinwegzuhelfen, erweisen sich als fruchtlos.

In einer Atmosphäre der Feindseligkeit beleuchtet ein Konzil Fehler und Misserfolge des Regenten. Er wird zur Abdankung zu Gunsten seines Sohnes Edward gezwungen. Ergreifend ist die Episode, in der das Kind, von Isabella geführt, auf seinen Vater zueilt, um ihn zu umarmen. Als Mortimer ihn bedroht, hält der Knabe inne.

Das Konzil wird aufgehoben, und zu Fuß wird Edward II. nach Berkeley Castle geführt. Entlang des Weges ist er Zeuge von Despensers Exekution und der Inthronisierung seines Sohnes als Edward III. Die Fauvel-Truppe vollführt einen grotesken Narrentanz.

9
Edward erwartet im Gefängnis seinen baldigen Tod. Die Fauvel-Truppe tritt auf und fungiert als Gefängniswärter. In dem Anführer Lightborn, den eine Aura des Bösen umgibt, glaubt Edward seinen Mörder zu sehen. Doch von der brutalen Lieblichkeit des Tanzes lässt Edward sich emotional zunächst über die wahre Situation hinwegtäuschen. Seine Lebensuhr ist abgelaufen. Ein weiterer Gefängniswärter trägt eine Kohlenpfanne und ein Eisen herbei. Nun kommt der Augenblick, auf den das Publikum seit fast zwei Stunden gewartet hat. Mit der glühenden Stange wird Edward rücklings durchbohrt.

Die Szene wechselt in den Königspalast, in dem Mortimer mit Isabella seinen letzten Pas de deux tanzt. Ihr Triumph ist nur von kurzer Dauer. Der kindliche König zeigt Energie, macht von der königlichen Gewalt Gebrauch und lässt das trügerische Paar einsperren. Die Mutter wird in die Verbannung geschickt, während Mortimer zum Tod durch das Henkersbeil verurteilt wird.

10
Die feierliche Beerdigung von Edward II. ist vorüber. Der Kinderkönig hat sich auf den Thron gesetzt. Zu seinen Füßen spielt Königin Philippa mit ihrer Puppe.
Letzte Änderung am 21. Oktober 2008
Beitrag von Engelbert Hellen

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