Lebenslauf von Marie Wieck

Bild von Marie Wieck In „Riemanns Musiklexikon“ werden Marie Wiecks Biographie im Artikel über Friedrich Wieck gerade mal elf Zeilen, in „Musik in Geschichte und Gegenwart“ vier Zeilen und in der „International Encyclopedia of Women Composers“ von Aaron I. Cohen sechs Zeilen gewidmet.

Auch in der reichhaltigen Literatur über Clara Schumann wird ihr Name nicht oft, dabei häufig mit einem negativen Beigeschmack versehen, erwähnt; so liest man z.B. bei Nancy Reich (Clara Schumann, S.166): „Hin und wieder konzertierte Clara mit ihrer Halbschwester Marie zusammen, doch sie hielt nicht allzu viel von deren Begabung.“ Ebenfalls die drei Bände über „Clara Schumann. Ein Künstlerleben“ von Berthold Litzmann bilden – wie die gesamte Robert Schumann-Literatur – keine ergiebige Informationsquelle über das Leben der Marie Wieck.

In seiner Schrift „Der Musikpädagoge Friedrich Wieck und seine Familie“ widmet Victor Joß Marie Wieck ein größeres Kapitel, das jedoch kritisch zu betrachten ist, da sie dort einseitig zu positiv dargestellt wird, während sie in Theodor Müller-Reuters Buch über Friedrich Wieck eindeutig zu negative Züge erhält. Einen tieferen und umfangreicheren Einblick in die Gesamtthematik bekommt man, wenn man Marie Wiecks Autobiographie „Aus dem Kreise Wieck-Schumann“ liest. Also gilt es aus diesen unterschiedlichen Quellen sich ein einigermaßen objektives Bild zu machen.

Johanna Marie Wieck wurde am 17.1.1832 in Leipzig, Reichsstraße 79, geboren. Sie war das zweite Kind von Friedrich Wieck und dessen Frau Clementine, geb. Fechner. Clementine Fechner war die zweite Ehefrau von Friedrich Wieck. Zur Zeit der Heirat war sie 23 Jahre alt, also 20 Jahre jünger als ihr Ehemann, der in erster Ehe mit Marianne Wieck, geb. Tromlitz, später wiederverheiratete Bargiel, verehelicht war. „Bei der Wahl seiner zweiten Frau hatte mein Großvater insofern eine glückliche Hand, als dieselbe nur für ihn lebte, treu für ihn sorgte und vor allem ihm unbedingt gehorsam, ja unterwürfig war...“, so Eugenie Schumann in einem Brief von 1937 an Heinz Beyer, in: Beatrix Borchard, Clara Schumann, S. 31). Clara Schumann schrieb nach dem Tod von Clementine in ihr Tagebuch: “Sie muss wohl 93 Jahre gewesen sein, und war eine vortreffliche Frau, eine sanfte Dulderin ihr Leben lang...“ (Berthold Litzmann, „Clara Schumann. Ein Künstlerleben“ Bd.III, S. 575f.). Friedrich Wieck brachte drei Kinder mit in diese zweite Ehe; darunter auch die neunjährige Clara, später verheiratete Schumann. Zur Zeit der Geburt von Marie war Friedrich Wieck mit Clara auf Konzertreise und als er im Mai 1832 nach Hause kam, war das Kind schon 4 Monate alt.

So wie Clara sollte auch Marie Pianistin werden. „Gegen Ende des fünften Jahres fing ich an, die Tasten zu erlernen und einige Übungen zu spielen. Herr Unger aus Lüneburg gibt mir Stunden“ (Marie Wieck, „Aus dem Kreise Wieck-Schumann“, Dresden 1914, S. 226). Ein Jahr später übernahm der Vater dann selbst den Klavierunterricht. Zu Wiecks Methode gehörte, dass am Anfang durch Übungen und Tonleiterspiel (ohne Noten) die Finger trainiert wurden und erst später die Noten (zuerst die Diskantnoten) dazukamen. Er gab die Anweisungen zum Unterricht, und die Kontrolle übernahmen weiterhin Herr Unger, der Bruder Alwin und die Mutter. Zum Ausgleich sorgte Wieck immer dafür, dass die Kinder lange ausgedehnte Spaziergänge an der frischen Luft machten. Eine gute Allgemeinbildung erhielten alle Wieck-Kinder von privaten Hauslehrern, wobei auf das Erlernen von Fremdsprachen besonderen Wert gelegt wurde. Friedrich Wieck war beruflich sehr in Anspruch genommen und konnte Marie nicht so viel Zeit widmen wie seinerzeit Clara. „Da nun der Vater für mich bei weitem nicht so viel tun kann, als er für Clara getan hat, so gebe mir der Himmel ein folgsames Gemüt und Empfänglichkeit für das Schöne“ (Marie Wieck, „Aus dem Kreise Wieck-Schumann“, S. 211). Clara Schumann schrieb im Februar 1845 in ihr Tagebuch: „Sie hat alles, was ein Unterricht wie der vom Vater ausrichten kann, doch es fehlt ihr der Spiritus, mir kommt ihr Spiel immer maschinenmäßig vor, immer unlustig, und dann fehlt es ihr auch noch sehr an Kraft und Ausdauer“ (Berthold Litzmann, „Clara Schumann. Ein Künstlerleben“, Bd.2, S. 97). Dazu äußerte sich Marie Wieck später ihrer Autobiographie „Aus dem Kreise Wieck-Schumann“ wie folgt: „Es tut mir noch heute leid, dass meine Schwester sich um meine Ausbildung so ängstigte, dass sie, als ich mit 11 Jahren in der Öffentlichkeit eingeführt wurde, in ihr Tagebuch schrieb, ich hätte keinen Spiritus. Hoffentlich hat sie ihn später an mir gefunden, denn sonst müsste ich mich wundern, dass sie mich fortwährend aufforderte, in viele Städten mit ihr zu spielen, wofür das Publikum stets das größte Interesse zeigte.“ Hier spielte von beiden Seiten sicherlich Eifersucht und geschwisterliche Rivalität mit.

1840 zog die Familie von Leipzig nach Dresden. „Wir waren 1840 von Leipzig nach Dresden wegen der schönen Lage der Stadt gezogen...“ (Marie Wieck, „Aus dem Kreise Wieck-Schumann“, S.231). In Dresden betrieb Wieck mit dem Klavierstimmer Lendel nur noch einen Klavierverkauf und keinen Klavierbau mehr.

1845 spielte Marie Wieck als Dreizehnjährige im Gewandhaus ein Rondo von Beethoven, ein Konzert von Pixis und ein Stück von Heller, wobei sie sehr gute Kritiken erhielt. Es folgten weitere Konzerte am 16. November 1846 im Gewandhaus Leipzig, am 8. November 1847 in Bautzen (mit Werken von Prixis) und 1848 – wiederum im Gewandhaus Leipzig – Beethovens c-Moll Konzert. Von nun an folgten immer mehr Konzertauftritte, wobei Marie Wieck als Solistin, als Duo-Partnerin sowie als Begleiterin von SängerInnen in Erscheinung trat. So spielte sie in Dresden am 7. Januar 1848 Beethovens Klavierkonzert in c-Moll und am 1. Juni 1848 im Hotel de Saxe – ebenfalls in Dresden – Mozarts Variationen 4hdg. mit Clara Schumann, ein Notturno von Frédéric Chopin bzw. eine Etüde von Charles Mayer, sowie am 16. November 1848 in Leipzig wiederum das Klavierkonzert in c-Moll von Beethoven.

Im Hause Wieck gab es auch die sogenannten Sonntagsmatineen und Soireen und alles, was Rang und Namen hatte, war dazu eingeladen. Diese Konzerte wurden von Wiecks Gesangs- und Klavierschülerinnen gestaltet und er selbst gab humoristische Erläuterungen dazu. Wiecks neues Versuchsfeld war nun auch, Gesangsvirtuosen heranzubilden. Marie war bei diesen Konzerten als Pianistin wie auch als Sängerin beteiligt.

Ab dem Jahr 1850, nachdem Clara mit ihrem Mann nach Düsseldorf gezogen war, setzte Marie die von Clara gestalteten Soireen im Konzertsaal des Dresdener Hotel de Saxe fort. Konzertreisen führten sie außerdem nach Berlin, Eisenach und Weimar, wo sie u.a. mit Franz Liszt zusammentraf. Am 27. Januar 1851 trat sie in Leipzig, am 24. Juli 1851 in Zürich und am 11. August 1851 in Baden-Baden auf. 1855 erfolgte ihr erstes öffentliches Debüt als Sängerin. 1857 wurde sie zur Hof- und Kammervirtuosin von Hohenzollern ernannt. Im Dezember 1858 hatte Marie Wieck zwei Konzerte mit der Sängerin Schröder-Devrient. 1859 unternahm sie mit Clara Schumann eine Konzertreise nach London, wo sie die „2 Variationen für 2 Klaviere“ von Robert Schumann spielten. Es folgten viele weitere Konzerte zusammen mit der Schwester, die leider in keiner Clara-Schumann-Biographie erwähnt werden. Von einem Konzert mit ihrer Schwester berichtet Clara in einem Brief vom 8. Juli 1860 an Johannes Brahms. Clara weilte in Bad Kreuznach zur Kur und gab im Kurhaus mit ihrer Schwester Marie ein Konzert. Im Stadtarchiv von Bad Kreuznach wird heute noch das Plakat mit der Ankündigung des Konzerts aufbewahrt. 1865 gaben die beiden Schwestern noch einmal in London Konzerte. 1866 – während einer Konzertreise durch Italien – lernte Marie Wieck das Land kennen und lieben. „Ich bestieg den Vesuv, was damals noch mühsam und nicht ungefährlich war, staunte über Pompeij, besuchte Capri und reiste in Begleitung meiner Irländerin bis Palermo, wo ich zwar kein Konzert gab, aber den Monte Pellegrini bestieg und an den Zitronenwäldern meine Freude hatte“ (Marie Wieck, „Aus dem Kreise Wieck-Schumann“, S.292).

Wieder zu Hause angelangt, wurde sie von vielen Schülerinnen, darunter einige, die später selbst Pianistinnen werden sollten, sehnlichst erwartet. Marie selbst schrieb immer wieder von Schülerinnen und nicht von Schülern. Wahrscheinlich vertrat auch sie dieselbe Meinung wie Friedrich Wieck, dass Mädchen gefügiger und leichter zu unterrichten seien. Wieck hat diese These von Logier übernommen, der aus diesem Grund nur Mädchen unterrichtete.

1870 lernte Marie die Sängerin Lilli Lehmann kennen. In demselben Jahr führte sie eine große Konzertreise nach Russland, 1871 in die Schweiz und in viele andere europäische Länder. Auch wurde in dem Jahr der 86. Geburtstag von Friedrich Wieck begangen, den Marie Wieck musikalisch gestaltete. 1877 folgte die zweite Italienreise, wo sie in Turin den Mann ihrer Nichte Julie Schumann besuchte. 1878 kam es zu einer Begegnung mit Verdi in Genua. Eine besondere Vorliebe entwickelte sie für die skandinavischen Länder, wo sie regelmäßig konzertierte und 1881 Edvard Grieg kennenlernte.

Durch die vielen Konzertaufenthalte in Schweden, wo Marie Wieck die Menschen und ihre Lebensweise intensiv kennenlernte, begeisterte sie sich für die schwedischen Holzhäuser. 1893 kaufte sie eine Holzhaus und ließ es mit der Bahn nach Hosterwitz bei Dresden transportieren. Zur Einweihung des neues Hauses, das in den folgenden Jahren Treffpunkt vieler bekannter Persönlichkeiten wurde, gab sie ein Konzert zugunsten der Friedrich Wieck-Stiftung, die bedürftige Klavier- und Gesangslehrer unterstützte. Dort verfasste sie auch ihre Autobiographie „Aus dem Kreise Wieck-Schumann“. Da Marie Wieck häufig länger auf Tournee war, überließ sie in dieser Zeit oft befreundeten Familien ihr Sommerhaus. Die Geigerin Gabriele Wietrowetz, mit der Marie Wieck im Jahr 1889 eine größere Tournee mit 20 Konzerten unternahm, kaufte im Jahr 1909 das Schwedenhaus und ließ es nach Wentow im Kreis Ruppin transportieren und dort aufbauen.

Ab dem Jahr 1904 standen die Werke von Robert Schumann vermehrt auf den Programmen von Marie Wieck. So gab sie 1904 einen Schumann-Abend in Dresden sowie am 28. Juli 1906 ein Konzert zum 50. Todestag von Robert Schumann. Die Vossische Zeitung schrieb im Jahr 1910 über Marie Wieck: „Man rühmte die Schlichtheit ihres Vortrages, ihre erstaunliche Technik, ihre Jugendfrische. Die angehende Achtzigerin ist die einzige noch Lebende der bewegten Wieck-Schumann-Epoche... Fräulein Wieck hat blonde Zöpfe, lebhafte kluge Augen, rosig-volle Wangen, ist von so sprudelnder Lebendigkeit.“ Am 15.1.1916 hatte sie ihren letzten Auftritt im Palmengarten in Dresden, wo sie mit Herrmann Scholtz zusammen das „Adagio und Variationen“ op.46 von Robert Schumann spielte. Am 22.1.1916 fand anlässlich ihres 84. Geburtstages eine Vesper in der Dresdener Kreuzkirche statt.

Marie Wieck starb am 22.11.1916 in Dresden und wurde dort auf dem Trianitatisfriedhof beigesetzt. Ihr Nachlass befindet sich im Schumann-Haus in Zwickau.



Beitrag von Isolde Weiermüller-Backes

Literatur:
Wieck, Marie: Aus dem Kreise Wieck-Schumann, Dresden 1914
Litzmann, Berthold: Clara Schumann. Ein Künstlerleben, Leipzig 1920
Letzte Änderung am 3. Mai 2010