Alexander von Zemlinsky (1871-1942)

Der Kreidekreis

Allgemeine Angaben zur Oper:

Titel: Der Kreidekreis
Titel englisch: The Chalk Circle
Titel französisch: Le cercle de craie
Entstehungszeit: 1930-32
Uraufführung: 14. Oktober 1933 in Zürich (Stadttheater)
Besetzung: Soli, Chor und Orchester
Erstdruck: Wien: Universal Edition, 1933
Opus: op. 21

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[Details]
Der Kreidekreis (Capriccio, DDD, 1990)
Alexander von Zemlinsky (1871-1942)

Zur Oper:

Art: Oper in 3 Akten
Libretto: Klabund (Alfred Henschke)
Sprache: deutsch
Ort: China
Zeit: zu historischer Zeit

Personen:

Tschang-Haitang: ein junges Mädchen (Sopran)
Frau Tschang: ihre Mutter (Alt)
Tschang-Ling: ihr Bruder (Bariton)
Pao: erst Prinz, dann Kaiser (Tenor)
Ma: ein Mandarin (Bass)
Yü Pei: seine Gattin ersten Ranges (Sopran)
Tschao: Sekretär bei Gericht
Tschu-Tschu: Oberrichter
Tong: ein Kuppler (Tenor )
Weitere: 2 Kulis, eine Hebamme, Zeremonienmeister des Kaisers, Gerichtspersonen, Soldaten, Polizisten

Handlung:

1. Akt: 1. Bild:

Tong bittet die Opernbesucher untertänigst, sich vorstellen zu dürfen. Sein Name klingt so, als ob man leise ein missgestimmtes Gong anschlägt. Er sei der Besitzer des zwar bescheiden anmutenden, aber erstklassigen Etablissements. Mit der Polizei befindet er sich in bestem Einvernehmen. Der Herr Polizeipräsident lässt sich zuweilen herab, ihn zu beehren. Im übrigen gewähre er nur Damen von bestem Leumund Unterkunft. Hören Sie Musik? Seine drei Damen spielen die Frühlingsserenade.

Der Eunuch schlägt die Vorhänge zurück und der Theaterliebling sieht in drei Käfigen drei schöne Mädchen sitzen, welche die Instrumente spielen. Eine von ihnen stimmt ein Lied an:

„Allen Männern zu gefallen
bin in Taumel ich und Tand.
Wenn sie ihre Wünsche lallen,
sitze ich abgewandt.
Geben Gold und geben Speise,
keiner gab ein gutes Wort.
Und so wein' ich wild und leise
meine süße Sehnsucht fort.
Gestern trieb nun das Gelüste
einen Jüngling zu mir her,
der mich auf die Stirne küsste,
ach ich sehe ihn nicht mehr.“

Tong zieht die Vorhänge wieder zu, nachdem er einen Gong angeschlagen hat. Rein rhetorisch fragt er das Opernpublikum, ob es wisse, woran der Klang des Gongs ihn immer erinnert? An eine Hinrichtung!

In seinem früheren Beruf - die Herren werden es kaum glauben - war er nämlich Henker. Damals habe er Männern den Kopf abgeschlagen und jetzt verdreht er ihn nur mit Hilfe seiner Blumenmädchen. Um nicht selbst in Versuchung zu fallen und sein Geschäft durch unschickliche Handlungen zu stören oder zu beeinträchtigen, zum Beispiel etwa die Eifersucht der Herren Klienten zu erregen, habe er freiwillig auf die Attribute der Männlichkeit verzichtet. Seinerzeit habe er sich einer kleinen Operation unterzogen. So steht er nun zwischen Mann und Weib, ist keines von beiden und so zur Mittlertätigkeit berufen und erwählt.

Die Dämmerung, die gewiegte Kupplerin der Nacht von alters her, naht und Tong hört Schritte die Gasse heraufkommen. Das Mädchen stellt sich dem Teehausbesitzer vor und plappert ihr Anliegend herunter.

Ihr Name sei Haitang und sie sei die Tochter der ehrwürdigen Dame an ihrer Seite, Frau Tschang geheißen. Sie sei erst sechzehn Jahre alt, habe aber schon viel erlitten und werde noch mehr erleiden. Viel Schmerz und ein wenig Glück seien ihr Schicksal - rote Abendwolken nach einem düsteren Gewittertag. Das sei das Leben!

Tong will nicht vorlaut erscheinen, bringt aber seine Verwunderung zum Ausdruck und bezeugt sein Bedauern. Die Damen betreten in Trauerkleidung das Haus der Freude! Hat es in der Verwandtschaft einen Todesfall gegeben, so bitte er nachsichtig sein innigstes Beileid entgegenzunehmen.

Haitang führt aus, dass es kaum eine Stunde her ist, dass sie den ehrwürdigen Herrn Tschang in die Erde senkten. Er war von Beruf Seidenraupenzüchter und Gemüsegärtner, dazu der Gatte der Dame, die sie begleitet, und ihr Vater. Mit ihren eigenen Händen habe sie die Erde aufgerissen und den Sarg eingebuddelt, denn einen Totengräber konnten sie sich finanziell nicht leisten.

Frau Tschang schluchzt, sie habe ihren Gatten geliebt und liebt ihn nun noch mehr, da er nun bei den Ahnen weilt, was ihr die Gelegenheit bietet, zu seinem Gedächtnis morgens und abends Räucherkerzen zu entzünden. Tong möchte gern wissen, wodurch der Tod des Herrn Vaters so plötzlich eingetreten ist.

Haitang senkt den Kopf und statt ihrer antwortet die Mutter: Das Rad des Unglücks sei über sie dahin gerollt. Ihr treu ergebener Gatte habe seinem armseligen Leben, das nur noch wie ein altes Kleid an ihm hing, selbstherrlich ein Ende gemacht. Haitang verbirgt ihren Kopf in den Falten ihres Ärmels.

Die Dämonen der Unterwelt mögen ihm gewogen sein und der Herr der ewigen Nacht ihm ein mildes Urteil sprechen, tröstet Herr Tong. Darf man sich nach dem Grund seiner plötzlichen Abreise in die unteren Gefilde erkundigen? Haitang hat sich ein wenig gefasst und gibt zu Protokoll, dass der Mandarin und Steuerpächter Ma sie um Geld und Gut gebracht hat. Vorgestern war die Steuer fällig. Wir hatten an Wertsachen nicht zu eigen als einen Sarg, der schon vor Jahren für das erste Mitglied ihrer Familie, welches sterben würde, angeschafft worden war. Herr Ma schämte sich nicht, diesen Sarg durch den Gerichtsvollzieher beschlagnahmen zu lassen. Da ging ihr Vater vor das Haus des Mandarinen und erhängte sich mutig an seinem Türpfosten. Frau Tschang ergänzt noch, dass das Volk ihm mit Steinen die Fenster eingeworfen habe. Die Rache der Geister wird ihn treffen. Durch alle sein Träume wird der Erhängte wandeln, bleich, und die blaue Zunge wird ihm aus dem Mund hängen. Ein Wolf soll sein Blut trinken. Tausend Wespen werden ihm seine Augen stechen, dass er erblindet.

„Wer spielt so schöne Musik? Meine Trauer beginnt in diesen Tönen zu schweben wie ein Schmetterling in der Luft.“ Tong antwortet stolz, dass es die Bewohnerinnen dieses Hauses sind, die diese Melodien hervorlocken.

Für Frau Tschang ist nun der Zeitpunkt gekommen, ihr Anliegen in Worte zu fassen. Sie kam hierher, um den hochwohlgeborenen Herrn Tong zu bitten, ihre Tochter Haitang als Tochter der Freude in sein achtbares und geachtetes Haus aufzunehmen. Sie seinen völlig ruiniert und wissen nicht, wovon sie leben sollen. Sie müssten verhungern und sieht sich deshalb gezwungen, ihre Tochter als Blumenmädchen zu verkaufen.

Haitang bietet an, dass sie die Laute, die Flöte und das Instrument Kin spielt. Sie vermag zierliche Geburtstagskarten zu malen und kann tanzen und singen. Die Mutter mischt sich ein und fordert das Kind auf, Herrn Tong vorzutanzen, damit er ihr Talent schätzen lernt. Nach der Musik, die ertönt und dann wieder abbricht, tanzt Haitang ein paar Takte.

„Vortrefflich, ausgezeichnet, eine seltene Begabung, ein fast dramatisches Talent“ kommentiert Herr Tong und fragt die Mutter, was der Preis ist, welchen sie für das Fräulein fordert. Haitang bricht zusammen und legt sich auf den Boden. Hundert Taels in Gold fordert Frau Tschang. Tong findet, dass das immerhin eine bedeutende Summe auch für so ein gut situiertes Unternehmen wie das seine sei. Das Fräulein sei schön, daran bestünde kein Zweifel, aber wenn seine alten Augen ihn nicht täuschen, so hat die Dame im Nacken einen kleinen störenden Leberfleck. Frau Tschang geht im Preis auf neunzig Taels herunter.

Sie sei zwar klug und gebildet, versteht zu tanzen, aber ihr Tanz war ihm zu melancholisch. Es fehlt die leicht schwebende Lustigkeit, die die Männer fortreißt. Frau Tang trumpft mit den Vorzug auf, dass die Tochter noch unberührt sei. Nun, dann sagen wir, mit achtzig Taels soll der Handel gültig sein. Frau Tschang ist einverstanden und Herr Tong wird sich gestatten, die Summe sofort auszuzahlen.

Tschang-Ling hat seine Schwester überall gesucht. Von Straße zu Straße ist er geeilt. Abgefallene Blütenblätter haben ihm den Weg gewiesen. Hier muss er die Blüte nun völlig entblättert vorfinden. Haitang erwidert, dass die Blüte, die sie im Gürtel trägt, noch kein Blütenblatt verloren hat. Doch Tschang-Ling prophezeit: noch ehe die Nacht um ist, werde sie welk sein. Die Pflicht als Tochter gebietet ihr, für die Mutter zu sorgen. Wie kann das mütterliche Herz damit einverstanden sein, dass ihre Tochter den entwürdigenden Beruf eines Teehausmädchens ergreift?

Die Mutter mischt sich ein und ist der Ansicht, dass es eigentlich an ihm sei, für die Familie zu sorgen, aber die paar Taels, die er durch Abschreiben verdient, trägt er zu den Mädchen in zweitklassigen Teehäusern. Uns er wagt es, auf die eigene Schwester, die den gleichen Beruf ergreifen will, Schmutz zu werfen.

Haitang beschwichtigt; sie will auch versuchen, zum Lebensunterhalt des Bruders beizusteuern. Das Haus des Herrn Tang ist angesehen. In ihm verkehren gutbetuchte und freigebige Gäste.

Will das verworfene Geschöpf ihn etwa zu seinem Mitschuldigen machen? Er spielt den Entrüsteten und schmiert ihr eine. Die Mutter klagt, dass sie selbst an allem schuld sei und wünscht sich, niemals Kinder geboren zu haben. Hasserfüllt stürzt Tschang-Ling davon.

Tong hat das Geld herbeigeschafft und zählt es Frau Tschang in die Hand. Darf er ihr jetzt noch den goldenen Käfig zeigen, in dem das Mädchen ihr schönes Gefieder spreizen soll. Herr Tong geleitet die Mutter zur Tür.

Haitang hat ihren Arbeitsplatz im Käfig eingenommen und singt die Weise:

„Am Ufer unter Weiden steht das Haus,
ein zartes Mädchen sieht zur Tür hinaus.
An der Voliere steht der Mandarin,
ein zarter Vogel singt und hüpft darin.
Verschließ den Käfig! Hüte gut das Haus!
Sonst fliegt der Vogel in den Wald hinaus!“

2. Bild:

Haitang gibt ihr Debüt als Teehausmädchen. Ein junger Prinz betritt den Raum, Tong tänzelt unterwürfig vor ihm her und verschwindet dann im Hintergrund. Prinz Pao hält sich für einen Abenteurer und einen träumerischen Helden, der trunken durch diese Welt stolpert. Tausend Schwerter hat er schon gegen seine Feinde geschwungen, aber den Kampf ersehnt er eigentlich nicht. Sein Herz hat er der Liebe gewidmet und es bedarf nur einer Kantilene, um es zum Schwingen zu bringen.

Er hat eine Nachtigall gehört und ist ihrem Ruf gefolgt. Doch stattdessen hat er eine Blume gefunden, deren Duft ihn verwirrt. Sie trägt das weiße Gewand der Trauer und der Kelch ist geschlossen. Er will versuchen, sie ein wenig zu erheitern, damit die Blüte sich öffnet. Haitang weiß zu antworten: Diese Sprüche pflegen die jungen Herren in den Anstandsstunden zu lernen. Sie kommen von den Lippen und berühren nur leise das Ohr. So soll es geschehen, sie soll seine Lippen ihr Ohr berühren lassen.

Sie soll ihm etwas zuhauchen, was man mit Worten nicht sagen kann. Aus einem Hauch wird leicht ein Wind und aus einem Wind ein Sturm. Will der Prinz nicht eine Partie Schach mit ihr spielen? Die Figuren sind schon aufgestellt. Weiß beginnt und schwarz zieht nach. Schach der Dame! Sie sei keine Dame - Schach dem König! Er sei auch kein König. Zum Gegenzug gehe sie vor wie ein hoch dekorierter Feldherr. Er gibt das Spiel auf. Um ein besseres zu spielen. Und an welches Spiel denkt er? An das Spiel der Liebe, denkt Pao. Haitang wusste nicht, dass die Liebe ein Spiel sei. Er sei so nachdenklich. Soll sie für ihn tanzen? Den Tanz der Jahreszeiten, den Tanz des Südwindes oder den komischen Tanz des Herdfeuers? Oder soll sie etwas für ihn malen?

Haitang malt einen Kreis mit weißer Kreide auf ein schwarzes Papier. Pao führt aus, dass der Kreis das Symbol des Himmelsgewölbes ist. Der Ring schmiedet die Gatten aneinander. Zwei Kreise ineinander verschachtelt seine zwei Herzringe. Nun wird Haitang philosophisch. Was außerhalb des Kreises liegt, ist das Nichts; was innerhalb des Kreises liegt ist das All. Was verbindet das Nichts mit dem All? Im Kreis, der sich drehend fortbewegt, ist das Rad. Haitang sei an das Rad geschmiedet, an das Rad des Schicksalswagens, welches die Sonnenrosse ziehen. Ein junger Gott steht mit feuriger Peitsche im Wagen und treibt die Rosse an, ohne ihren Jammer und ihre Tränen zu beachten.

Das philosophische Gespräch setzt sich noch endlos fort, so dass Pao den Eindruck bekommt, dass das Mädchen nicht nur schön, sondern auch gescheit ist. Plötzlich durchstößt innerhalb des Kreidekreises ein Kopf die Papierwand; beide weichen erschrocken zurück.

Sein Name sei Ma, ganz einfach Ma, ganz einfach Ma. Wenn er den Namen Ma nennt, so sollte das eigentlich genügen, dass jedermann sich ehrfurchtsvoll vor ihm verneigt, denn er besitzt sehr viel Geld, so dass er sich alles kaufen kann, was er will, wonach er Gelüste und Sehnsucht trägt. Er sieht ein schönes Pferd und besteigt es. Sieht er ein schönes Weib, so entführt er es. Wenn es ihm passt, geht er sogar durch die Wand, wie in vorliegendem Falle. Er bezahlt alles. Im Gericht habe er einen Sitz erkauft und spricht Recht, obwohl er nicht einmal recht sprechen kann. Er ist Steuerpächter und treibt die ihm zustehenden Steuern rücksichtslos ein. Dabei gehe et streng, aber gerecht vor. Undank ist der Welt Lohn. Erst vorgestern erhängte sich ein gewisser Gärtner Tschang vor seinem Hause in der Absicht, ihm Ungelegenheiten zu bereiten, was dem Lumpen auch gelang, obwohl er ihm die Steuerschuld schon einmal gestundet hatte. Der Pöbel hat ihn als Blutsauger beschimpft und ihm die Fenster eingeworfen. Um sich von der Aufregung zu erholen, habe er nun das Haus des ihm wohlbekannten Herrn Tong betreten, denn er liebt Blumen und die Wiesen auf denen sie wachsen. Für Liebesunternehmungen sei der heutige Tag besonders günstig, hat sein Astrologe ihm verraten und ihm sein Horoskop gestellt.

Eine neue Blume im Garten des Herrn Tong sieht er! So zart ist sie, dass er nicht wagt sie anzufassen, denn sie könnte zerbrechen. Er klatscht dreimal in die Hände und bekundet Herrn Tong, dass diese junge Dame ihm gefällt und sein Herz rührt. Der Teehausbesitzer erklärt, dass sie noch unberührt und somit Jungfrau sei. Ma glaubt ihm nicht und erklärt, dass er schon mehrfach versucht habe, ihm eine falsche Jungfrau anzudrehen. Beleidigt entgegnet Tong, dass er diesmal nicht flunkert. Ma entschließt sich daraufhin, ihm die Dame mit Leib und Seele abzukaufen. Keine Widerrede! Er bietet hundert Goldstücke So wenig? Das holde Kind hat ihn selbst zweihundert gekostet!

Pao tritt aus den Hintergrund hervor und bietet 300. Die beiden wechseln sich ab im Überbieten, zuerst heißt es 400 und dann 5OO. Tong reibt sich die Hände. Ma bietet schließlich 1000 Goldstücke und damit ist für Prinz Pao die Schmerzgrenze erreicht. Er verneigt sich vor dem Objekt seines Interesses und informiert Ma: „Die Dame gehört Ihnen!“

In seinem Selbstgespräch beklagt Haitang leise ihr bitteres Schicksal: Ihren Vater hat er in den Tod getrieben. Das Schicksal wirft sie in seine Arme. Sie ist nur ein Mensch. Was soll sie tun? Die Götter werden in ihrem Namen handeln. Herr Tong möge eine Botschaft an ihre Mutter schicken, dass sie sich noch heute mit Herrn Ma vermählen wird. Tong verneigt sich und fragt sicherheitshalber, ob sie auch weiß, was das Weib dem Mann schuldet, bevor er sich abschließend vor ihr verbeugt.

Haitang hat schon in ihrer Kindheit auswendig gelernt:

„Das Weib hat zu schweigen, wenn der Mann spricht,
es hat zu lächeln, wenn er tadelt,
zu bitten, wenn er grollt, zu danken,
wenn er züchtigt, zu lieben, wenn er verachtet und hasst!“
2. Akt: 3. Bild:

Die erste Gattin und Gemahlin erster Klasse heißt Yü Pei und beklagt sich beim Opernpublikum, dass es jetzt ein Jahr her ist, dass Herr Ma sich eine zweite Gattin ins Haus genommen hat. Es sei eine unausstehliche Person namens Haitang, über deren sittlichen Qualitäten sie sich nicht äußern will. Aber es sagt wohl schon genug, dass Herr Ma sie von der Straße aufgelesen hat. In einem Teehaus hatte sie die zweifelhafte Rolle einer Kurtisane gespielt. Sie sei in tiefster Seele verletzt, dass Herr Ma ihr, seiner Gattin ersten Ranges, eine solche Person vorzieht. Zu allem Überfluss hat sie ihm einen Knaben geboren, einen Erben, während ihr Schoß unfruchtbar geblieben ist. Welches Los hat sie nun zu erwarten, wenn sie ihr Geschick nicht selbst entschlossen in ihre kleinen Hände nimmt? Zum Glück wird ihr jemand beistehen, der ihr auf Leben und Tod ergeben ist.

Und das ist niemand anders als ihr untertäniger Knecht Tschao, Gerichtsbeamter am hiesigen Amtsgericht. Herr Ma hat ihn in einer geschäftlichen Angelegenheit zu sich gebeten, aber er sei noch nicht unterrichtet, um was es sich handelt, quittiert er die Neugierde von Frau Ma.

Yü Pei umgarnt ihn und Tschao fragt, wann es endlich so weit sei, dass sie einander völlig angehören dürfen - frei vor aller Welt, und nicht heimlich wie jetzt im Garten, wenn Herr Ma ausgegangen ist. Vielleicht schon eher, als er meint, lockt Yü Pei. Die Zeit schreitet ihm zu langsam vorwärts. Er ist schon ganz verzweifelt und er denkt darüber nach, dass es vielleicht würdiger sei, seinem Leben ein Ende zu setzen, als langsam dahinzusiechen. Im Tempel des Wu-Wang hat er einem Mönch ein kleines Fläschchen mit einer Flüssigkeit abgekauft, welches er in den Falten seines Gewandes immer bei sich trägt.

Ist es Gift? Er soll es ihr geben! Er darf es nicht bei sich tragen in seinem Zustand, da sein Gemüt verdunkelt ist. Sie wird es aufheben. Niemand weiß, ob nicht die Stunde kommt, da sie gemeinsam die Reise in die unteren Bezirke antreten werden. Mit ihr zusammen zu sterben wäre Seligkeit. Jetzt soll er mit ihr leben und diese Seligkeit wird süßer ein, erwidert sie und zieht ihn hinter einen Baum. Beide umarmen sich.

Nach ihrer letzten Zusammenkunft hat Tschao die Gesetzbücher auf einen strittigen Punkt durchgesehen und sich über die Frage Gewissheit verschafft, wer der Erbe von Haus, Geld und Gut ist, wenn der Besitzer stirbt. Erbe, und zwar Alleinerbe, ist die erste Frau, die Gattin erster Klasse. Doch in der Erbfolge tritt eine Änderung ein, falls sie kinderlos bleiben sollte! Frau Ma stößt mit dem Fuß auf. Hat eine Nebenfrau einen Knaben geboren, dann treten sie und das Kind in die Rechte der Alleinerben ein, und die Hauptfrau wird auf einen Pflichtteil gesetzt.

Das ist also ihr Schicksal, wenn Ma stirbt. Hat sie ihm nicht treu gedient, als diese Hure von Haitang noch gar nicht auf der Welt war? Jetzt soll sie ihr Alter in Armut und Elend wie einen Leinensack tragen, während sie mit ihrem Bankert in goldener Sänfte an ihr vorbeigetragen wird und sie am Straßenrand hocken muss, um ein paar Münzen zu erbetteln?

Tschao tröstet sie, dass das nie geschehen wird, solange er lebt. Was redet er da? Ist er nicht arm wie eine Tempelmaus. Muss sie ihm nicht immer Reis und Kuchen schicken? Ohne sie wäre er doch längst verhungert! Sieht sie einen Weg aus ihrem Elend? Sie sieht einen, aber wird er auch versprechen, ihr auf dem Weg zu folgen, auch wenn es ein krummer werden sollte. Wird er die Augen schließen und sich ganz ihrer Führung anvertrauen - ihr zu Liebe? Er kann es getrost versprechen, weil er keinen Weg sieht.

Herr Ma ist mit Haitang sehr zufrieden und bringt es poetisch formuliert zum Ausdruck. Der Yang-tse-kiang, so sagt man, berge Perlen in seinen schwarzen Wassern. Wer um Mitternacht, mit reinem Sinn und Zauberspruch begabt, sich ans Perlenfischen macht, dem ist zuweilen wohl ein seltener Fund vergönnt. Er ging zur Nacht an seinen dunklen Ufern und fand fand ganz ohne Zauber das Herz, nicht ganz so rein, wie die Beschwörung fordert, aber er fand ein Perlchen und hob es auf. Und strahlender als durch des Mikados Perlen wurde ihm die Nacht erleuchtet, süßer als alle Perlen Indiens hat die das Mädchen ihn beglückt.

Frau Ma und Haitang bringen zwei Strohmatten, um sie sie auszubreiten.

Die beiden Frauen werden fortgeschickt und Ma und Tschao lassen sich auf der Matte nieder. Nachdem Ma den schönen Sommertag ausgiebig gelobt hat und ein paar Höflichkeitsfloskeln ausgetauscht worden sind, rückt er mit seiner Sache heraus. In einer juristischen Angelegenheit, die ihm schon lange im Kopf herumgehe, soll Tschao ihn vor Gericht vertreten.

Er hat beschlossen, sich von seiner Gattin ersten Ranges, Yü Pei, scheiden zu lassen und Haitang in ihren Rang zu erheben. Er liebt Haitang, denn sie hat ihm einen Erben geschenkt. Er beauftragt ihn mit der Erledigung der juristischen Formalitäten. Tschao beteuert, dass er trotz seines Rheumatismus selbstverständlich entzückt ist, ihm behilflich sein zu können.

Es würde die Lösung erleichtern, wenn man Frau Ma eine Untreue nachweisen könnte, irgendein Verhältnis mit einem Mann, das die Sittenlehre missbilligt. Tschao empfiehlt, einen Ehebruch zu konstruieren. Ma sieht, dass der Beamte ihn verstanden hat und geleitet ihn bis ans Tor.

Später teilt Tschao Frau Ma brühwarm mit, dass ihr Mann sich von ihr scheiden lassen will und ihn mit den Formalitäten beauftragt habe. Frau Ma ist empört und entschließt sich sofort zu handelt, denn jeder Aufschub wäre Torheit und Verrat am eigenen Geschick. Was will sie tun? Er solle die Augen schließen, der Gott der Dunkelheit solle mit ihm sein.

Nachdem Frau Ma ins Haus gegangen ist, erscheint völlig zerlumpt am Gartenzaun Tschang-Ling.

Tschang-Ling geht es wirtschaftlich sehr schlecht und er ist verzweifelt. Er hat keine Heimat, wenn nicht das Feld. Er hat kein Haus und auch kein Geld, nicht einmal ein Lächeln, das hält. In Fetzen hängen ihm einige Lumpen am Leibe und sein Magen sei eine gedörrte Pflaume. Vor den Tempeltüren flüstert er leise: Der edle Same des Menschentums darf nicht unter dem Unkraut der Unmenschlichkeit erstickt werden. Ein solches Unkraut ist Herr Ma, der Besitzer dieses Hauses. Er hat seinen Vater in den Tod, ihn ins Elend getrieben und seine Schwester gezwungen, sich ihm zu verkaufen.

Sein Name ist in der Liste der Bruderschaft längst mit einem Kreidekreis umgeben. Das bedeutet seine Trennung von dieser Welt. Sein Urteil ist gesprochen und er ist erkoren, es zu vollstrecken.

Haitang erscheint am Zaun und erkennt ihren Bruder nicht sofort. Dieser bittet demütig um eine Schale Reis. Er sei der Sohn eines Vaters, der sich erhängte und einer Mutter, die vor Kummer starb, als ihr Bruder in der Fremde weilte. Sie soll ihm verzeihen, dass er sie einst schlug, so wie man auf ein Maultier eindrischt. Herr Ma achtet und ehrt sie und hat ihr ein Kind geschenkt. Wie, sie hat sich dazu hergegeben und erniedrigt, diese verfluchte Rasse des Ma fortzupflanzen? Es ist auch ihr Kind, welches auf Erden wandelt, wenn ihr Leib schon längst im Sarg fault. Sie fleht ihn an, es nicht zu hassen. Tschang-Ling erklärt, er sei Mitglied der Bruderschaft vom weißen Lotos, die das Urteil über sie Sache längst gesprochen hat.

Haitang befragt das Orakel des Kreidekreises und wirft ein Messer hinein, welches exakt die Kreislinie und nicht die Mitte trifft. Sie bittet den Bruder mit der Tötung des Säuglings zu warten, bis die Götter sich klarer ausgedrückt haben. Er wird es der Bruderschaft berichten. Wie schaut der liebe Bruder so armselig ins Wetter! Sie schenkt ihm ihren Pelzumhang und wünscht ihm gute Weiterreise.

Nun stellt sich Frau Ma neben Haitang und fragt, wer der fremde Mann gewesen sei. Schämt Haitang sich gar nicht, auf der Straße mit fremden Männern anzubandeln? Sie hat wohl ihre Teehausmanieren noch nicht verlernt. Die Ehre des Herrn Ma, ihres hohen Gebieters und Herrn, tritt sie mit Füßen. Was sieht sie soeben? Wo ist der kleine Mantel geblieben, den sie heute früh noch über dem Kleid trug? Sie habe ihn verschenkt! Wie, ein Geschenk des Herrn Ma hat sie fort gegeben? Sie hat ihn jenem armen Mann am Zaun geschenkt. Es war ein Bettler - er war so arm und sie seien so reich. Sie ist also schon so weit heruntergekommen, dass sie sich unter Bettlern ihre Liebhaber sucht! Aber das Gesetz gebietet, den Armen Wohl zu tun. Es gibt so viel Elend in der Welt, wollen sie beide nicht versuchen, es zu lindern?

4. Bild:

Vermutet Frau Ma richtig, dass Haitang seit einiger Zeit seinem Herzen besonders nahe steht? Das sei richtig geraten, denn sie habe ihm einen Erben geschenkt. Seit Monaten habe die Frau ersten Ranges nicht mehr den nächtlichen Besuch des Hausherrn erhalten! Darüber sei er ihr keine Rechenschaft schuldig, kommt es umgehend zurück.

Nun legt Frau Ma los: Haitang betrüge ihn. Sie sah, wie sie mit einem fremden Mann am Gartenzaun stand. Vielleicht hat sie dunkle Pläne, wer weiß? Dem Fremden hat sie ihren mit Pelz besetzten Überwurf geschenkt, den ihr Mann ihr zum Geburtstag verehrte.

Haitang bringt den Tee und Herr Ma befragt sie, ob die schlimmen Dinge wahr seien, die man ihm von ihr berichtet, dass sie mit einem fremden Mann am Gartenzaun geredet habe. Sie habe lediglich mit einem Bettler gesprochen! Hat sie ihm den kleinen Mantel mit dem Pelz gegeben? Achtet sie so die Geschenke ihres Mannes, der sie liebt?

Sie dient ihrem Herrn in Demut und weiß seine Güte zu schätzen. Der Bettler hatte nur Lumpen auf dem Leib und fror. Er dauerte sie. Sah sie den Bettler heute das erste Mal? „Nein!“ „Erkennt Herr Ma nun endlich ihre Treulosigkeit?“ wirft Frau Ma ein. „Wer war der Bettler?“ „Mein Bruder!“ Glaubt er der verlogenen Person etwa, ärgert sich Frau Ma.

Herr Ma gesteht, dass er ihr glaubt, weil sie sein Herz verwandelt habe. Er sehe keinen Grund, ihr nicht zu trauen, denn durch sie habe er gelernt, an ein höchstes Wesen zu glauben. Sie ist immer gleichmäßig sanft. Tränen der Freude steigen Haitang ins Auge, da der Herr ihr nicht zürnt und die Sonne wieder lacht.

Haitang schilt sich nachlässig, weil sie vergaß, Zucker in den Tee zu geben. Frau Ma bemächtigt sich der Tasse und schüttet heimlich die Flüssigkeit hinein, die Tschao von dem trügerischen Mönch erhalten hat. Sie gibt sie Tasse Haitang, damit sie ihrem Herrn den Tee kredenze. Wenn sie Labung von ihr komme, tut sie ihm besonders gut. Während er trinkt soll Haitang ihm das Märchen von der Lotosblüte erzählen. Haitang beginnt ihre Geschichte, er trinkt und lässt die Tasse sofort fallen. Die Scherben klirren und Herr Ma fasst Haitang am Handgelenk und stöhnt: „Ich sterbe!“

Hört ihr lieber Mann sie nicht mehr? Haitang kniet vor ihm und bettet seinen Kopf in ihren Schoß. Frau Ma ruft um Hilfe: „Hier ist jemand ermordet worden. Herr Ma ist vergiftet.“ Diener und Dienerinnen laufen ziellos um her. An der Straße tauchen Tschao und Tschang-Ling auf. Eine Polizeipatrouille erscheint. Frau Ma flüstert Tschao leise zu, dass Ma tot ist und sie nun endlich frei seien. Tschao weicht entsetzt zurück und fragt, wer ihn getötet habe. Die Polizei will der Sache auf den Grund gehen.

Frau Ma bringt sich in Positur: „Diese Person da, Herr Mas zweite Gattin, ehemals ein Teehausmädchen niedersten Ranges, hat meinen erlauchten Gatten, Herrn Ma, vergiftet!“ Die Polizei fesselt sie an den Handgelenken. Haitang trauert, dass sie Herrn Ma - kaum dass sie ihn kennengelernt hat - schon wieder verlieren muss. Man solle ihr ihr Kind geben und es nicht von ihr losreißen.

Frau Ma tut entrüstet. Der Geist der Verworfenen sei verwirrt und voll böser Anschläge. Sie hat gar kein Kind. Das Kind im Hause sei ihr Kind, welches sie von Herrn Ma empfangen habe, welches sie als Kindermädchen nur gehütet hat.

Haitang kniet vor der Leiche ihres Herrn und wischt sich die Tränen aus den Augen. Der Ordnungshüter gibt Weisung, Haitang abzuführen. Tschang-Ling kann sich die Bemerkung nicht verkneifen, dass Gott die Verbrecherin gerichtet habe.
3. Akt: 5. Bild:

Die Gerichtshalle schmückt ein Gobelin mit dem Bildnis des fünfklauigen Drachens, links und rechts daneben hängen lange schmale Fahnen mit chinesischen Schriftzeichen. Vor dem Sessel des Richters ist ein Kreidekreis gezogen, in dem die Angeklagte zu knien hat. Der Aufenthaltsort für das Publikum ist durch Barrieren abgetrennt.

Der Name des Richters ist Tschu-Tschu. Er sei von seiner kaiserlichen Himmlischen Majestät zum Obersten Richter hier eingesetzt. Wie er sieht, besteht das Publikum aus einer Gesellschaft miserabler Kreaturen, die sich zu seiner Abscheu hier versammelt habe. Die Gerichtsverhandlung beginnt um 9 Uhr. Jetzt wird erst einmal in Ruhe gefrühstückt; er knabbert an einem Früchtchen und beißt in ein Stück Brot. Das Frühstück gehöre zu den angenehmsten Dingen des Lebens. Mit vollem Magen lässt sich zum Beispiel ein Dieb mit gutem Gewissen zum Galgen verurteilen. Heute hat er allerdings ein bisschen Kopfweh, denn die letzte Nacht hat er im Hause des Herrn Tong in Gesellschaft dreier reizender Damen verbracht. Er berichtet nun von den Vergnügungen, die er mit Yu, Yei und Yau hatte. Nach ausgiebigem Genuss von Reiswein wurde er in den Schlaf musiziert. Vorher haben sie Tuschezeichnungen von völlig unbekleideten Mädchen in allen möglichen Körperstellungen angeschaut. Den ersten Preis musste er wegen ihrer kleinen Brüste der kleinen Yei zuerkennen.

Tschao bittet um Vergebung, wenn er den Richter in seiner Meditation stört. Frau Ma, die Klägerin, welche heute zuerst an die Reihe kommt, habe ihn beauftragt, seiner Exzellenz als Zeichen ihrer Unterwürfigkeit einen kleinen Beutel übersenden zu dürfen. Ah, es klingt wie Pagodenglocken, wenn Gold über den harten Tisch rollt. Frau Ma ist ein überaus freigebige Dame, die ihr Recht finden dürfte.

Aber er will sich jetzt noch ein bisschen in das Strafgesetzbuch vertiefen. Die Paragraphen über Beamtenbestechung werden ihm keine Kopfzerbrechen machen. Ritsch, ratsch! Er reißt die Blätter aus seinem Buch heraus. So schwört er auch keinen Meineid, denn wenn er Gesetze und Verordnungen des Herrscherhauses der Mandschus gar nicht erst kennt, braucht er sie auch nicht zu beherzigen und sein Herz bleibt rein wie die Wolle eines jungen Lämmchens.

Frau Ma winkt die Hebamme heran und sagt ihr, dass sie aufpassen und nicht versehentlich in den Zauberkreis treten soll, da dieser sie banne und dann sie möglicherweise noch selbst angeklagt werde. Womit hat sie das nur verdient, dass sie aufs Gericht kommen muss? Die Schande, die Schande! Ihr Herz schlägt, als wolle es ihr die Brust zerschlagen. Sie habe solche Angst, erklärt sie Frau Ma. Was wird mit ihr geschehen? Wird man sie foltern?

Sie soll keinen Unsinn reden. Sie ist nur als Zeugin geladen, um Zeugnis abzulegen, dass der Knabe Li ihr Kind ist und nicht Haitang gehört. Aber wie soll sie ein solches Zeugnis ablegen, da es doch nicht wahr ist. „Pst!“ - Sie war es doch selbst, die die Nabelschnur zwischen dem Kind und Frau Haitang trennte.

Nein, Frau Lien irrt sich in diesem Punkt. Hier sind zwanzig Goldstücke, um ihrem Gedächtnis auf die richtige Spur zu helfen. Frau Ma ist zu gnädig. Jetzt dämmert es ihr. In der Dämmerung muss ihr eine Verwechslung unterlaufen sein. Hat sie Frau Ma doch tatsächlich mit Haitang verwechselt. Diese stolze und hochmütige Person, obwohl aus dem gleichen niedrigen Stande wie ich, hatte sie nie ein freundliches Wort für sie gehabt - immer von oben herab!

Das ist ja auch kein Wunder. Herrn Ma, meinen geliebten Mann, hat sie sogar vergiftet! Was Sie nicht sagen! Vergiftet! Ja, ja es gibt böse Menschen auf der Welt, da kann auch wohl das Kind nicht von ihr sein. Frau Lien soll doch bitte nach Ende des Prozesses zu ihr nach Hause kommen. Sie hat noch einige abgelegten Kleider, glänzend erhalten, da wird sich gewiss noch ein Staatskleid für sie darunter zu finden sein.

Frau Ma ist noch um weitere Zeugen bemüht. Auf der Straße hat sie zwei Kulis aufgelesen und schmeichelt sich bei ihnen ein. Sie seien doch auch Männer und wissen, was sich schickt. Gewiss wollen sie der Gerechtigkeit zum Siege verhelfen! Oder etwa nicht? Gerechtigkeit! Was ist das? Frau Ma erläutert: „Gerechtigkeit ist, wenn ich Euch hier ein paar Münzen gebe und ein Päckchen Kautabak, und ihr sagt hier als Zeugen vor Gericht das auf, was ich euch vorsagen werde. In der Schule haben die Ganoven immer nur auswendig lernen müssen. Sie soll also losschießen. Gut, sie müssen lediglich bezeugen, dass sie Nachbarn von Herrn Ma gewesen sind, der, als sie seinerzeit den Knaben Li gebar, ein Fest für das ganze Stadtviertel gab. Sie müssen ferner beschwören, dass der Knabe ihr Kind sei und nicht das Kind Haitangs ist. Die beiden Ganoven grinsen und heben zwei Finger. Der Eid wird geschworen, darauf kann die gute Frau Gift nehmen, dass Haitang Herrn Ma Gift in den Tee gerührt hat. Frau Ma ist eine Mörderin, sie sollen das nicht vergessen.

Die Prozedur beginnt. Die Gerichtsglocke ertönt. Die Tapetentür öffnet sich und es erscheinen in gemessenem Schritt: Tschu-Tschu, Tschao und noch drei Richter nehmen ihre Plätze ein. Die Angeklagte wird hereingeführt. Zwei Gerichtsdiener halten Zeugen und Publikum, darunter Tschang-Ling in Schach. Der Richter ersucht Haitang, ihren Platz innerhalb des Kreidekreises einzunehmen, und gibt Herrn Tschu-Tschu Anweisung zu protokollieren. „Sehr wohl Exzellenz!“

Der Richter nimmt die Personalien von Tschang-Haitang, Tochter des Tschang, Frau des hochgeborenen Herrn Ma auf. „Falsch, Herr Richter!“ unterbricht die Klägerin ihn. Es muss nämlich heißen: Nebenfrau des hochgeborenen Herrn Ma. Sie war seine bloße Beischläferin, Konkubine sozusagen in einem Freudenhaus aufgelesen - die Gattin ersten Ranges sei die Klägerin. Haitang setzt sich angemessen zur Wehr und führt aus, dass sie Herrn Ma rechtlich angetraut war. Deshalb plante er, sie in den Rang einer Hauptfrau zu erheben und sich von Frau Ma scheiden zu lassen.

„Sie lügt wie eine Elster!“ Wann war das denn, dass sie ihm ein Kind geboren haben will? Tschu-Tschu bittet Frau Ma sich zu beruhigen. Im Laufe der Verhandlung wird sich alles der Wahrheit gemäß herausstellen. Der Richter setzt das Zeremoniell fort und will nun wissen, wer Anklage erhebt. Einen Staatsanwalt gibt es offenbar nicht.

Deshalb ergreift Frau Ma das Wort. Die rechtmäßige Hauptgattin des verewigten Herrn Ma, Yü Pei, klagt Haitang des versuchten Kindesraubes und des vollendeten Giftmordes an Herrn Ma an. Was hat die Angeklagte zu dieser außerordentlich präzisen Anklage zu bemerken, will Herr Tschu-Tschu wissen. Haitang bedauert, diese Frau Lügen strafen zu müssen. Aber es geht um ihr Leben. Im Gefängnis hat man ihr das Kind verweigert und sie ohne Nachricht von ihm gelassen. „Li, mein Knabe, erkennst Du mich?“

Frau Ma verdächtigt die Angeklagte, dass sie heuchelt. Wie kann sie Muttergefühle vortäuschen, da ihr Schoss verdorrt ist wie ein Baum in der Wüste Gobi ohne Wasser? Wortgewandt protestiert Haitang, dass ihr Schoß nicht unfruchtbar ist und beschreibt die Wonnegefühle, welche die Mutterschaft ihr bisher gebracht haben.

Der Richter ordnet an, das nun die Hebamme zu vernehmen sei, die der Mutter bei den Geburtswehen des Knaben Li behilflich war. Frau Lien soll vortreten. Womit hat sie das nur verdient, dass sie vor dem hohen Gerichtshof erscheinen muss. Tschu-Tschu beruhigt sie, dass sie sich nicht fürchten muss. Also wie war der Hergang? Ach, das war ein großes Durcheinander, als der Knabe Li geboren wurde.

Kennt Frau Lien die Angeklagte? Es ist Haitang, die Nebenfrau des verstorbenen hochgeborenen Herrn Ma. Tschu-Tschu will nun wissen, ob sie die Mutter des Knaben Li ist. Die Antwort ist sehr behutsam, denn die Hebamme hat aus taktischen Erwägungen Rücksichten zunehmen. Sie hat den Knaben wohl oft auf den Armen getragen, gewartet und in den Schlaf gewiegt, wie es die Pflicht der Nebenfrauen ist; aber die Mutter des Knaben ist jene und sie zeigt auf Frau Ma. Obwohl das Zimmer der Wöchnerin wie üblich verhängt war und man in der Dunkelheit kaum die Mutter vom Kind unterscheiden konnte, so ist doch kein Zweifel , dass Frau Ma den Knaben geboren hat.

Haitang appelliert an Frau Lien, der Wahrheit die Ehre zu geben. Es ist ihr Kind! Frau Ma schaltet sich ein:
Das listige Weib macht sich der Beeinflussung der Zeugin schuldig. Tschu-Tschu erwägt, die Angeklagte wegen ungebührlichen Benehmens vor Gericht ins Gesicht zu schlagen. Im Wiederholungsfall soll sie auf Glassplittern knien oder man wird ihr die Knöchel zerquetschen.

Haitang ist poetisch zumute:

„Wie Feuer brennt mein Rücken.
Wie Sturm weht mein Atem.
Verflöge doch meines Lebens Hauch,
der Nachtschmetterling.“

Das Kind beginnt zu weinen und Tschu-Tschu gebietet Stille, weil er das Kind zur Ordnung rufen will. Frau Lien wird vereidigt und stottert, dass sie bei den „Beinen“ ihrer Ahnen, die reine Wahrheit gesagt hat.

Die beiden Kulis treten als Zeugen vor. Leiern in einem Zug synchron herunter, was sie auswendig lernen mussten. Haitang beschuldigt sie der Lüge und erklärt, dass sie von Frau Ma bestochen wurden. Ihre Aussage zu beschwören, haben die beiden Gauner keine Probleme. Die Zeugenvernehmung über den geplanten Kindesraub wird geschlossen.

Bleibt nur die Frage nach dem Giftmord noch unbeantwortet. Wer hat gesehen, dass die Angeklagte ihrem verewigten Gatten statt Zucker Gift in den Tee schüttete, um sich unrechtmäßig Knabe und Erbteil anzueignen?

Frau Ma gibt die Antwort: „Ich!“

Haitang verzweifelt! Frau Ma beschwört bei den Gebeinen ihrer Ahnen, dass sie, die nicht die Mutter des Kindes ist, ihren Gatten mit Gift aus dem Wege geräumt hat, um sich unrechtmäßig Knabe und Erbteil anzueignen. Haitang ist entsetzt: Frau Ma schwört versehentlich die Wahrheit.

Das Gericht zieht sich zur Beratung zurück. Tschu-Tschu verkündet das Resultat im Namen seiner Himmlischen Majestät: Tschang-Haitang wird im Sinne der Anklage wegen versuchten Kindesraubes und wegen vollzogenen Giftmordes an Herrn Ma zum Tode durch des Henkers Schwert verurteilt. Die Gerichtsdiener sollen ihr den neunpfündigen Block um den Hals legen.

Haitang protestiert vergeblich gegen das Urteil und ruft nach ihrem Kind. Das unverschämte Geschöpf sollte man mit dem Pantoffel ins Gesicht schlagen. Es soll sich merken: Wenn der Richter ein Urteil spricht, ist es gerecht, die Verhandlung führt er unparteiisch und alles geht gesetzmäßig zu.

Haitang wird abgeführt. Parallel betritt eine Stafette aus Peking den Gerichtssaal.

Tschu-Tschu ist erschüttert über die Nachricht, die ihn erreicht, und ersucht alle Anwesenden mit der Stirn die Erde zu berühren. Seine Himmlische Majestät ist im hohen Alter von 75 Jahren an Altersschwäche verschieden. Zum Nachfolger wurde durch das Los Prinz Pao gekürt, der den kaiserlichen Thron bestiegen hat. Alle Todesurteile werden suspendiert und kraft seiner Machtvollkommenheit Richter und Gerichtete nach Peking berufen. Denn seine erste Amtshandlung soll im Zeichen der Gerechtigkeit stehen.

Tschang-Ling meint, dass der neue Kaiser auch nicht besser als der alte sein wird. Die Armen werden wie bisher auch unter einem Drachenbanner rechtlos am Straßenrand verrecken. Haitang ist unschuldig, sie soll nicht sterben. Mit seinen Fäusten will er dem Henker das Beil aus der Hand reißen.

Tschu-Tschu entrüstet ich. Der Kerl, der seine Majestät lästert, bekommt den Block auch um den Hals gelegt. Seine Majestät wird sich ihm dafür erkenntlich zeigen. Auf nach Peking!

ZWISCHENSPIEL

6. Bild:

Tschang-Haitang und ihr Bruder werden in militärischer Begleitung nach Peking deportiert und geraten unterwegs in einen Schneesturm. Kann die Tochter einer Schildkröte ihre Beine nicht flinker bewegen? Für ihre Bewacher ist der Marsch auch kein Vergnügen. Ein guter Tod ist das halbe Leben! Sie klagt, dass die Knie ihr brechen. Wer ein Verbrechen begangen hat, muss es auch büßen. Warum hat sie ihren dicken Mann auch umgebracht? Die Frau wendet ein, dass sie keinen rechtschaffenen Richter gefunden hat. Wo ist mein Kind? Bei seiner Mutter, verstocktes Weib! Selbst der Holzblock bringt sie nicht zur Buße und Einsicht.

Tschang-Haitang schreit ihre Klage in den Schneesturm. Zu lange haben die Wachen das Quaken des Wasserfroschs mit angehört. Doch sie hat Glück im Unglück. Ihr Bruder, der sich ebenfalls auf dem Transportweg befindet, hat ihre Stimme erkannt. Wenn man das Bruderherz und sie Schwesterseele zusammenbindet, werden sie leichter vorwärts zu treiben sei. Vorwärts nun zum Kaiser!

„Soldat, Soldat! Du bist mein Kamerad.
Wenn unsere Knochen bleichen,
Mond fällt auf uns wie gelber Rauch,
der Affe schreit im Bambusstrauch.
Soldat, Du bist mein Kamerad,
wenn unsere Knochen bleichen.“

7. Bild:

Weise Worte schmücken die Stufen zum Thron, die er Kaiser soeben emporsteigt „Sprich leise, handle leise, denke leise!“ Jeder, der das Wort ergreift solle daran denken. Der Kaiser fordert von Tschang-Ling eine Erklärung, weshalb er mit einem Mädchen zusammengebunden ist. Wieso bleibt er stehen und fällt nicht auf die Knie? Was ist sein Verbrechen, was hat er begangen? Nun, gäbe es Gerechtigkeit in diesem Land, stünde er nicht im Block vor ihm. Wer so viel litt, kniet vor keinem Menschen mehr. Förmlich wendet der Kaiser sich nun an Tschu-Tschu und ersucht um Auskunft. Er habe die geheiligte Majestät, des Himmels Sohn, gelästert. Keine Strafe kann für ihn zu hoch sein! Er möchte davon absehen, die Worte zu wiederholen, weil die Zähne sie nicht freilassen. Er hat geäußert, der neue Kaiser würde auch nicht besser sein als der alte. Tschang-Ling bekennt, dass er auch noch sagte, unter seiner Herrschaft würden die Armen am Straßenrand verrecken wie bisher. Der Angeklagte weint, aber nicht um sein Geschick, sondern um sein Vaterland. Der Kaiser ordnet an, dass ihm der Halsblock abgenommen wird, denn wer solche Tränen weint, ist kein Verbrecher. Der Kaiser liest im Protokoll von Tschang-Haitang. Die beiden kreuzen ihre Blicke und erkennen sich.

Diese Dame soll ihren Mann ermordet und - um sich die Erbschaft zu sichern - des Kindes seiner ersten Frau bemächtigt haben. Der Kaiser zweifelt und fragt die Angeklagte direkt, die aber schweigt. Seine Majestät ist wie ein Spiegel, der die Angeklagte blendet. Unsinn, verbessert ihn Tschu-Tschu. Seine Majestät ist die Sonne, die sie alle blendet. Nun erkundigt sich der Kaiser nach dem Beruf, den sie hatte, bevor sie Herrn Ma heiratete.

Haitang antwortet poetisch:

„Am Ufer hinter Weiden steht ein Haus,
ein kleines Mädchen sieht zur Tür hinaus.
An der Voliere steht ein Mandarin.
Ein kleiner Vogel singt und hüpft darin.
Verschließe den Käfig, hüte das Haus,
sonst fliegt der Vogel in den Wald hinaus.“

Du warst also Blumenmädchen, zieht der Kaiser seine Schlussfolgerung. Und wer waren die Besucher des Hauses hinter den Weiden? Herr Ma holte sie aus dem Haus. Hat sonst niemand sie dort besucht? Ein junger Herr besuchte sie! Wer war der junge Herr? Ich nenne seinen Namen nicht. Sie fordert Gerechtigkeit sonst nichts. Der Kaiser setzt das Verhör fort: Die beschworenen Zeugenaussagen hier in den Akten besagen, dass das Kind, das Du für Dich in Anspruch nimmst, nicht Dein Kind ist. Haitang schweigt, aber Tschang-Ling mischt sich ein: „Die Zeugen sagen falsch aus. Sie sind bestochen von der ersten Frau.“ Frau Ma behauptet, dass er lügt. Der Richter sei dazu bestellt, wahres und falsches Zeugnis zu unterscheiden, erfolgt unverzüglich die Belehrung. Tschang-Ling antwortet dem Kaiser, dass die Zeugen bestochen waren. Richter Tschu-Tschu bezichtigt ihn ebenfalls der Lüge.

Die erste Frau des Mandarins ist im Saal. Wo ist sie? Sie soll vortreten! Der Kaiser knöpft sie sich vor: „Weib sprich, wer ist die Mutter des Kindes, das Du auf dem Arm trägst?“ „Ich bin es, Majestät.“ Der Zeremonienmeister möge ein Stück Kreide nehmen und einen Kreis auf dem Boden vor seinem Thron ziehen und den Knaben in den Kreis legen. Es ist geschehen.

„Und nun ihr beiden Frauen,
versucht den Knaben aus dem Kreis zu ziehen,
zu gleicher Zeit.
Die eine packe ihn am linken,
die andere am rechten Arm. Es ist gewiss,
die rechte Mutter wird die rechte Kraft besitzen,
den Knaben aus dem Kreis zu sich zu ziehen.“

Die Frauen tun wie geheißen. Haitang fasst den Knaben nur sanft an. Frau Ma zieht ihn brutal zu sich hinüber. Der Kaiser weist auf Haitang und bemerkt, dass diese Frau nicht die Mutter sein kann. Sonst wäre es ihr wohl gelungen, den Knaben aus dem Kreis zu ziehen. Die Frauen sollen den Versuch wiederholen. Wieder zieht Frau Ma den Knaben zu sich. Kritisch beobachtet der Kaiser, dass Haitang nicht die geringste Anstrengung unternimmt, das Kind auf dem Kreis zu sich herüber zu ziehen. Was bedeutet das?

Haitang bleibt die Antwort nicht schuldig. Sie hat das Kind neun Monate unter ihrem Herzen getragen und habe alles Süße mit ihm genossen und alles Bittere mit ihm gelitten. Wenn es fror, wärmte ich seine Gliederchen, denn sie sind sehr zart und zerbrechlich. Ich würde sie ihm ausdrehen, wenn ich daran zerren wollte, wie jene Frau. Wenn ich mein Kind nur dadurch bekommen kann, dass ich ihm die Arme ausreiße, so soll nur jene, die nie die Schmerzen einer Mutter um ihr Kind gespürt hat, es aus dem Kreis ziehen.

Der Kaiser ist aufgestanden, erkennt die ungeheure Macht, die in dem Kreidekreis beschlossen liegt. Jene Frau trachtete sich das ganze Vermögen des Herrn Ma zu bemächtigen und raubte darum das Kind. Da nun die wahre Mutter erkannt ist, wird auch die wahre Mörderin zu finden sein. Ich lese in den Akten den Wortlaut des Schwurs, den Frau Ma gesprochen hat. Die Frau soll ihn wiederholen.

„Ich schwöre - bei den Gebeinen meiner Ahnen - dass die, die nicht die Mutter des Kindes ist, Herrn Ma vergiftet hat.“

Der Kaiser bestätigt, dass sie selbst den entsetzlichen Schwur leistete, dass sie als Mörderin des Herrn Ma ausweist. Frau Ma bleibt nichts anderes übrig, als die Tat einzugestehen, aber sie schiebt es Herrn Tschao zu, von ihm angestiftet zu sein. Die hölzerne Krause wechselt ihre Trägerin. Herr Tschao winselt, dass der Oberrichter korrupt sei und auch eine größere Geldsumme genommen habe. Ausgeschlossen, setzt sich Herr Tschu-Tschu zur Wehr, er sei der unbestechlichste Richter weit und breit. Genug des unwürdigen Gezeters. Es wird eine weitere Verhandlung geben. Die Zeugen werden abgeführt, aber Tschang-Ling auf einen Wink in eine andere Richtung geführt. Haitang und der Kaiser sind allein. Er nimmt einem Soldaten das Kind ab und reicht es Haitang.

Der Kleine ist ihr Pantherköpfchen, ihr Luchsäuglein und ihr Aprikosenwänglein. Wie süß er duftet! Sie schließt ihn in ihre Arme.

Erinnert sie sich jener Nacht, da Ma in Tongs Haus sie kaufte? Wie könnte ich jene Nacht vergessen, da ich Euch zum ersten Mal sah. Sie soll ihm erzählen, was im jener Nacht geschah. Man brachte sie in ein Zimmer zu ebener Erde, dessen Schiebetüren nach dem Garten hinaus gingen. Sie weinte und bat um Ruhe. Herr Ma ließ sie allein. Es war so drückend heiß, dass sie die Tür zum Garten offen ließ. Als sie sich niederlegte. Da hatte sie einen wunderlichen Traum. Und was träumte sie? Sie träumte, dass ein junger Mann durch den Park geschlichen käme - leise wie ein Panther. Er kam in ihr Zimmer und setzte sich zu ihr auf ihr Lager und liebte sie. Er umarmte sie wie ein Ehemann sein Eheweib. Wie kommt es, dass sie diesen Traum in ihrem Gedächtnis so treu bewahrt hat? Ei, lieber Herr, sie hat von ihm geträumt, dass er zu ihr kommen würde? Und das hat sie geträumt? Der Kaiser korrigiert sie. In Wahrheit hat sich alles so begeben. Er folgte ihr in jener Nacht über den Bambuszaun, schlich in ihr Schlafgemach und stillte seine Sehnsucht und Begierde. Er liebte sie im Schlafe und sie seufzte nur einmal leise. Kann sie ihm verzeihen, was er aus allzu großer Liebe gewagt hat?

Sie will ihm verzeihen, wenn er das Kind als sein eigenes anerkennt. Denn so muss es sein. Gezeugt hat es der Sturm, geboren hat es der Wind, sein Pate war der gelbe Mondschein. Noch heute verkündet er dem Volk, dass sie seine Gattin sein wird. Haitang hebt das Kind hoch.
Letzte Änderung am 12. Dezember 2015
Beitrag von Engelbert Hellen

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